— 507 —
das Parlament zu einer neuen Session zusammentrete. Es ist
aber ein „wirkliches allgemeines konstitutionelles Gewohnheits-
recht“ ein Faktor, mit dem bei einer Untersuchung über das
innere Staatsrecht eines bestimmten Staates nicht wohl gerechnet
werden darf. Die Gültigkeit des inneren Staatsrechts, dem das
Recht des Gesetzgebungsverfahrens angehört, beschränkt sich auf
den einzelnen Staat, da es allein auf dessen Anerkennung beruht.
Die Anerkennung eines dem inneren Staatsrechte angehörenden
Satzes seitens anderer Staaten ist an sich für jeden Staat ohne
Bedeutung; Uebungen und Gewohnheiten anderer Staaten kommen
für ihn nur insoweit in Betracht, als sich in ihnen richtige
Folgerungen aus einem in ihm und den anderen Staaten gleicher-
weise anerkannten Rechtsinstitute offenbaren. Dann aber ist der
Grund für ein gemeinsames Gewohnheitsrecht mehrerer Staaten
nicht die thatsächliche Geltung in der Mehrzahl dieser Staaten,
sondern die folgerichtige Ableitung desselben aus dem Wesen
des gemeinsamen Rechtsinstitutes, und dessen Geltung wiederum
beruht allein auf der Anerkennung jedes einzelnen Staates. — Will
man also für einen Satz des inneren Staatsrechts sich auf ein
Gewohnheitsrecht berufen, so genügt nicht die Behauptung eines
„wirklichen allgemeinen konstitutionellen Gewohnheitsrechts“, son-
dern es muss der fragliche Satz für jeden einzelnen Staat als
(Grewohnheitsrecht nachgewiesen werden.
Der Versuch, jenen von RÖNNE, SCHULZE und LaABAnD als
Norm eines allgemeinen konstitutionellen Gewohnheitsrechts be-
haupteten Satz, der gesamte Gesetzgebungsakt müsse bis zum
Beginne der nächsten Parlamentssession beendet sein, wenigstens
als Satz eines preussischen oder Reichsgewohnheitsrechts zu retten,
misslingt.
Freilich steht der Art. 78 R.-V. der Bildung eines Reichs-
gewohnheitsrechts an sich nicht im Wege!’; denn wenn nach
10 y, SEYDEL a. a. O. S. 118.