Full text: Archiv für öffentliches Recht.Vierzehnter Band. (14)

— 509 — 
die von den Kammern angenommenen Gesetzesvorlagen bis zum 
Beginne der nächsten Session zu sanktionieren oder gar zu ver- 
kündigen; das erhellt aus den gleichfalls bereits oben angeführten 
preussischen Gesetzen, welche der Zeit nach sich auf verschiedene 
Jahrzehnte seit Erlass der Verfassungsurkunde verteilen. Auch 
für Preussen lässt sich somit das von RÖNNE, SCHULZE und 
LaBAanD behauptete Gewohnheitsrecht nicht erweisen. 
(Genau so unbegründet ist, wenigstens für das Deutsche Reich 
und Preussen, der von anderer Seite als Gewohnheitsrecht be- 
hauptete Satz, das gesamte Gesetzgebungsverfahren müsse während 
des Bestehens der jeweiligen Volksvertretung, welche die frag- 
liche Vorlage angenommen habe, abgeschlossen werden. Denn 
auch hier lässt sich für das Erfordernis der opinio necessitatis 
nichts erbringen, während andererseits in verschiedenen Fällen 
die Praxis das gegenteilige Prinzip befolgt hat. 
Wo die geschriebenen Verfassungen versagen und sich weiter- 
hin auch ein ergänzendes Gewohnheitsrecht nicht nachweisen lässt, 
können allgemeine Erwägungen, insbesondere über die Natur 
des konstitutionellen Gesetzgebungsverfahrens, einen Anhalt für 
die Beantwortung der aufgeworfenen Frage verschaffen. Bisher 
ist in dieser Richtung besonders zweierlei geltend gemacht. 
Einmal hat man das fast überall unbestritten !? herrschende 
Prinzip der Diskontinuität der Sitzungsperioden zu verwerten 
gesucht. Dieses Prinzip besagt, „dass Geschäfte der vorigen 
Session, die nicht zum Abschluss gekommen sind, in der neuen 
Session nicht einfach fortgesetzt werden können, sondern neu 
begonnen werden müssen“!®, Es bezieht sich also nur auf die 
182 Aber betreffend Preussen s. Zorn in der von ihm besorgten 5. Aufl. 
von v. Rönne’s Preussisches Staatsrecht Bd. I S. 349: „Ein so wichtiger und 
weittragender staatsrechtlicher Grundsatz müsste positiv in der Verfassung 
zum Ausdruck gelangt sein. Dies ist nicht der Fall: durch Geschäfts- 
ordnungsvorschriften und thatsächliche Vorgänge kann ein derartiger Funda- 
mentalsatz des Staatsrechts nicht geschaffen werden.“ 
18 y. SeYDEL a. a. O. 8. 118.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.