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Giacomo Grasso, I Presupposti giuridiei del diritto costituzio-
nale e il rapporto fra lo stato e il cittadino. Genova, Istituto
Sordo-Muti, 1898. 176 8. gr. 8°. Lire 3.—.
Auch in Italien ist die juristische, d. h. logische Behandlung des Staats-
rechts an die Stelle der verschwommenen politischen, historischen, volks-
wirthschaftlichen Betrachtungen getreten, welche so lange Zeit für Staats-
recht ausgegeben wurden. Das Haupt der neueren wissenschaftlichen Rich-
tungen in Italien ist OrtLannpo, welcher durch eine Anzahl vorzüglicher
Abhandlungen, sowie durch seine Werke über das Verfassungsrecht und über
das Verwaltungsrecht der juristischen Methode Anerkennung und Einfluss
verschafft hat. Zu den hervorragenden Vertretern dieser Richtung, welche in
engem Zusammenhang mit der neueren deutschen Staatsrechtsliteratur steht,
gehört Grasso, Lehrer des Staatsrechts an der Universität in Genua. Die
hier besprochene Schrift desselben behandelt den Begriff und die rechtliche
Natur des Staats und ist gleich ausgezeichnet durch ihren Inhalt wie durch
die Kunst der Darstellung. Ausser einer Einleitung, in welcher die Bedeutung
der spezifisch juristischen Behandlung staatsrechtlicher Probleme und die
Nothwendigkeit und Nützlichkeit der Trennung des Staatsrechts von der
Politik und Wirthschaftslehre dargethan wird, umfasst die Schrift drei Ab-
handlungen, von denen die erste die Auffassung des Staats als eines Ver-
tragsverhältnisses, die zweite die sog. organische Staatslehre, die dritte und
nach Inhalt und Umfang bedeutendste die Auffassung des Staats als Person
betrifft. Die erste Abhandlung giebt einen kritischen Abriss der Entwick-
lung der Lehre vom Staatsvertrag vom Ende des Mittelalters bis zu Fichte
und Schelling und zeigt, wie die Gestalt, welche diese Theorie bei Rousseau
erhalten hat, das Individuum dem Staat, die Form, welche ihr Fichte ge-
geben, den Staat dem Individuum aufopferte. Das Problem, ein Prinzip auf-
zustellen, welches sowohl die Rechte des Staats wie die Rechte des Indi-
viduums zur Anerkennung bringt und sie mit einander in Harmonie setzt,
war vom Standpunkte des Staatsvertrages aus nicht zu lösen. Die Um-
gestaltung, welche Kant dieser Lehre gab, war bereits ein Uebergang zu
einer neuen, wesentlich verschiedenen Staatstheorie, die an die Stelle des
allgemeinen Willens den Imperativ der Vernunft, d. h. die Zweckmässig-
keit setzte und demgemäss den Staat nicht als eine auf Willkür, sondern als
eine auf Nothwendigkeit beruhende Einrichtung erkannte. Trotz dieser
kritischen Abweisung der Lehre vom’ Staatsvertrag hält sich der Verf. von
der Geringschätzung, mit ‘welcher das Naturrecht in der deutschen Rechts-
literatur beliandelt zu werden pflegt, fern und erkennt an, dass dieses dauernde
und unvertilgbare Spuren hinterlassen und die Welt mit werthvollen Geistes-
errungenschaften bereichert hat. Inhaltlich bringt dieses erste Kapitel nicht
viel Neues; die Lehre vom Staatsvertrag in allen ihren Nüanoen und Diffe-
renzirungen ist schon so oft und so gründlich behandelt und kritisch be-
leuchtet worden, dass ein kurzer Abriss ihrer geschichtlichen Entwicklung