Full text: Archiv für öffentliches Recht.Vierzehnter Band. (14)

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sich auf Bekanntes beschränken muss und nur in der Form der Darstellung 
einen eigenen Werth haben kann; der Verf. konnte aber die Vertragstheorie 
nicht übergehen, da es ihm gerade darauf ankam, die Auffassungen des 
Staats, welche für die Dogmatik des Staatsrechts von besonderer Wichtig- 
keit sind, einander gegenüber zu stellen. 
Von grösserem Interesse ist das zweite Kapitel (S. 55—94), welches 
eine Darstellung der organischen Staatslehre in ihrer allmäligen Entwicklung 
und eine vorzügliche, höchst scharfsinnige Widerlegung dieser Theorie giebt. 
Der Verf. wendet sich in seiner Kritik besonders gegen die beiden bedeutend- 
sten deutschen Vertreter dieser Lehre, GierKkE und PrEUSS; er schliesst sich 
an die bekannte treffliche Schrift von van KRIEKEN, „Ueber die sog. organi- 
sche Staatstheorie“ und an Linae’s „Empirische Untersuchungen“ an; seine 
Beweisführung ist aber keineswegs eine blosse Wiederholung bereits bekannter 
Gründe. Mit vorzüglicher Klarheit setzt er den Unterschied, welcher zwischen 
den menschlichen Gemeinschaften und den natürlichen Organismen besteht, 
auseinander und zeigt, wie die Gleichstellung beider ein für die Erkenntniss 
der rechtlichen Natur des Staats vollkommen werthloses biologisches Bild 
ist. Der Kernpunkt der Gierke’sche Lehre besteht, wie der Verf. darthut, 
in dem Satze, dass der Staat und der Mensch gleichartig sind, indem beide 
Organismen sind, dass sie jedoch von einander verschieden sind, indem der 
Mensch ein physischer, der Staat ein juristischer Organismus ist. Dadurch 
reduzirt sich die organische Staatslehre auf einen Vergleich zwischen zwei 
wesentlich verschiedenen Dingen; sie ist ein volltönendes Wort, welches in 
unserem Geist phantastische Vorstellungen erregt, aber niemals eine klare 
Idee von dem wirklichen Wesen der menschlichen Gemeinschaften im All- 
gemeinen und des Staats im Besondern zu geben vermag (S. 80ff.). Die 
organische Staatstheorie hat den negativen Werth, dass sie der Vorstellung 
entgegentritt, dass der Staat eine willkürliche Schöpfung menschlichen 
Wollens oder eine göttliche Institution sei; aber für die positive Konstruktion 
des Staates ist sie absolut unbrauchbar. Die Lehre von GIERKE und PrEUSS, 
dass dasselbe Naturgesetz, welches aus dem Protoplasma den Organismus bis 
zum Menschen schafit, auch darüber hinaus die menschlichen Gemeinschaften 
bis zum Staat und den völkerrechtlichen Verbindungen erzeugt, ist eine in 
der Luft stehende, unbewiesene Behauptung; mit demselben Recht könnte 
man die Entstehung des Staats auf das Naturgesetz der Krystallisation, der 
chemischen Verwandtschaft oder der Gravitation zurückführen (S. 88). Dies 
organische Prinzip erweist sich auch, sobald man es auf das juristische Gebiet 
anwendet, als völlig unfruchtbar, ebenso wie es die Uebertragung juristischer 
Prinzipien auf des Gebiet der Naturwissenschaften sein würde (8. 89). Wenn 
man von den Erscheinungen der natürlichen Welt eine Anwendung machen 
will auf die politischen Gebilde, so kann es nur die sein von der Erhaltung 
der Gattungen und Arten auf Kosten der Individuen, welche die einen und 
anderen bilden; dies muss zu dem Schluss führen, dass die den Staat bildenden
	        
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