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weise oder nur zum Teil widerrechtliche Handlungen, im übrigen erlaubte
Geltendmachung eigener wirtschaftlicher Kräfte“.
Der Schwerpunkt liegt in dem Gedanken, dass die Vermutung für die
Freiheit spricht. Dieser Satz ist formal, aber nicht leer. Man braucht nur
daran zu erinnern, welche Verwirrung der Begriffe und des Rechtsgefühls
eingetreten ist, seitdem man die gesetzlich erlaubte Arbeiterkoalition
mit der Strafe des groben Unfugs praktisch zu unterdrücken versucht hat.
Die gesellschaftliche Suggestion aus den herrschenden Unternehmerkreisen
und die nervöse Furcht vor dem imaginären Umsturz hat leider auch auf
die Rechtsprechung übel eingewirkt, wofür der Verf. manche Beispiele
mitteilt.
Im übrigen bleibt es dabei, dass in diesen Fragen die materielle .Ent-
scheidung durch wirtschaftliche Machtfaktoren bestimmt wird. Sie beein-
flussen das alte Recht und erzeugen neues. Die zunehmende Rolle der Ar-
beit in der Produktion wird aber über die bloss negative Regulierung des
Klassenkampfes hinausführen. Das neue Bürgerliche Gesetzbuch bringt in
mehr als einem Sinne den Abschluss der bisherigen Entwicklung. Jetzt noch
verstreut in zahlreichen isolierten Gesetzen über Arbeiterschutz, Gewerbe-
polizei und Arbeiterversicherung erwächst immer deutlicher und umfassender
ein neues Civilrecht, das mit Öffentlich- und halböffentlich-rechtlichen Ele-
menten durchsetzt in charaktervoller Eigentümlichkeit das alte dogmatische
Huco-HeIsr’sche System durch ein reicheres nationales und modernes System
verdrängen wird.
Zur Einsicht in den unaufhaltsamen Gang dieser Entwicklung zu einem
neuen Arbeiterrecht ist das Studium der um das Koalitionsrecht geführten
Kämpfe besonders lehrreich, obwohl sie zunächst nur die Aufgabe haben,
die hemmenden Reste des historischen Klassenrechts zu beseitigen und die
Bahn für positive Bildungen freizumachen. Unseren Parlamentariern und
Sozialpolitikern ist die besprochens eingehende Arbeit als Orientierungs-
mittel sehr zu empfehlen. K. Tb. Reinhold.
Pietro Bertolini, deputato al Parlamento, Il governo locale inglese
e le sue relazioni con la vita nazionale. 2 Bde. 8°. XVI, 539 u.
XIV, 507 S. Torino, Fratelli Bocca, 1899.
Das Wort von Gxeist, dass England „der einzige’ Staat ist, welcher
unter einem vollentwickelten Parteiregiment eine geordnete, gerechte und
rechtschaffene Verwaltung bewahrt hat“, ist auch heute noch wahr. Ja, die
Wahrheit dieses Urtheils ist gerade während der letzten Jahre durch die
Entwickelung des politischen Lebens in den parlamentarisch regierten Staaten
des Kontinents in eine noch deutlichere Beleuchtung gerückt worden.
Da musste es denn BERTOLmI, der sich seit Jahren vorzugsweise mit
den aus dem Verhältniss der Verwaltung zu der individuellen Rechts- und