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zu verschaffen; und nur unter solcher Voraussetzung könnte man
sagen, der Kaiser handle bei der Ausfertigung und Verkündigung
nicht aus eigenem Rechte.
Eine wichtige Einschränkung erleidet aber der Satz, dass
der Kaiser zur Vornahme der nach den Artt. 16 und 17 R.-V.
rechtswirksam nur von ihm zu vollziehenden Handlungen ver-
pflichtet ist, durch das allgemeine Prinzip, dass zu gesetzwidrigen
Handlungen niemand seine Hand bieten darf, d. h.: zur Vorlage
verfassungswidriger Beschlüsse des Bundesrates an den Reichstag
und zur Ausfertigung und Verkündigung verfassungswidriger Ge-
setzentwürfe ist der Kaiser nicht verpflichtet, ja nicht einmal be-
rechtigt. Aber die Einschränkung reicht noch weiter. Da näm-
lich der Kaiser in den Fällen der genannten Artikel aus eigenem
Rechte handelt, so kommt die Entscheidung darüber, ob im kon-
kreten Falle eine verfassungsmässige Pflicht zum Handeln für ihn
besteht, dem Kaiser allein zu? Das allgemeine Prinzip, auf
welchem dieser Satz beruht, ist nicht — wie v. RÖNNE behauptet
— ein politisches, sondern rein juristisch und führt auch nicht
zu dem Standpunkt v. MArTıTZ’; denn dieser spricht dem Kaiser
das Recht zu, jedem Gesetz Ausfertigung und Verkündigung zu
verweigern, während von uns ein solches Recht nur für den Fall
der Verfassungswidrigkeit der gesetzgeberischen Willensbildung
anerkannt wird und es als Verfassungsbruch charakterisiert wird,
wenn der Kaiser ausser jenem gewiss seltenen Falle Ausfertigung
32 Dieser Gedanke findet sich in der Beschränkung auf das Verhältnis
des Bundeskanzlers zu den Bundesratsbeschlüssen bereits bei MEYER,
Grundzüge des nordd. Bundesrechtes 1868, S. 87; hierin schloss sich ihm zu-
nächst v. Rönne (Annalen 1871, S. 283f.) an. Alsdann hat v. Monr (Rstr.
S. 292) jenes Prinzip, im Gegensatz zu der gesamten ihm voraufgehenden
Litteratur, auf den Kaiser rücksichtlich seiner Pflichten aus den Artt. 16 und
17 R.-V. angewandt; die späteren Schriftsteller haben sich ihm angeschlossen,
ausgenommen v. RönneE, Rstr. I S. 231, II1 8.50 N. 2, v. SEeYpEı, Jahrb. £f.
Gesetzgebung N. F. II S. 425, Kommentar S. 174 und Dyrorr, Annalen 1889,
8. 930 N. 6.