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Es ist wiederholt, besonders v. KoLBow (a. a. O. S. 105ff.),
nachdrücklich betont worden, das kaiserliche Prüfungsrecht be-
schränke sich auf die Untersuchung der Frage, ob in jedem
Einzelfalle die von der Verfassung vorgeschriebenen Formen des
Reichsgesetzgebungsverfahrens beobachtet worden seien, der Kaiser
habe aber nicht das Recht, den Inhalt des zu erlassenden Ge-
setzes auf seine Verfassungsmässigkeit hin zu prüfen; nur in
v. HOLTZENDORFF’s Encyklopädie (5. Aufl., Bd. I S. 1146) wird
auch das letztgenannte Recht für den Kaiser in Anspruch ge-
nommen, Eine solche Unterscheidung ist müssig und irreführend.
Das Reich vermag infolge der ihm zustehenden Kompetenz-
Kompetenz, Gesetze jeden Inhalts zu erlassen; nur der Unter-
schied besteht, dass für Gesetze bestimmter Art erschwerte Formen
der Bildung des Reichsgesetzgebungswillens vorgeschrieben sind.
Es kann darum niemals der Inhalt eines Gesetzentwurfes schlecht-
hin als verfassungswidrig bezeichnet werden, sondern es kanı nur
die Form der Behandlungsweise verfassungswidrig sein; die kaiser-
liche Prüfung kann sich darum im Grunde stets nur mit der
Frage nach der Entstehungsform der ihm zugegangenen Gesetz-
entwürfe beschäftigen, insofern jedoch die einzuhaltende Form
von dem jedesmaligen Inhalte abhängt, hat der Kaiser ohne
Frage auch den Inhalt der Gesetzentwürfe einer Prüfung zu
unterziehen.
B. Im einzelnen gestaltet sich die in den Artt. 16 und 17
R.-V. begründete kaiserliche Kompetenz in der Ausübung fol-
gendermassen.
Nur dann kann im konkreten Falle die Frage an den Kaiser
herantreten, ob gemäss Art. 16 für ihn eine Pflicht zur Ein-
bringung einer Bundesratsvorlage in den Reichstag bestehe, wenn
ihm von dem Vorsitzenden des Bundesrates eine solche Vorlage
behufs Einbringung in den Reichstag zugestellt worden ist. Als-
ihre gesetzmässigen Voraussetzungen zutreffen, hier ein rechtsgiltiger gesetz-
geberischer Beschluss“ (HAENEL).