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Gegenüber den Bestimmungen der Genfer Konvention ent-
halten diese für den Seekrieg bestimmten Artikel nach einer
doppelten Richtung einen Fortschritt. Zunächst insoferne, als
das Sanitätsmaterial auch der Kriegführenden für unverletzlich
erklärt ist, während nach Art. 4 Abs. 1 der Genfer Konvention
das Material der Militärspitäler Beute des Siegers wird, ferner
insoferne, als nach der neuen Konvention die freiwillige Kranken-
pflege als organischer Bestandtheil des Kriegssanitätswesens er-
scheint, während die Genfer Konvention die freiwillige Kranken-
pflege überhaupt nicht erwähnt. Endlich ist noch darauf auf-
merksam zu machen, dass Art. 10 der neuen Konvention den
allgemein anerkannten Satz des Völkerrechts, dass Streitkräfte
der Kriegführenden, welche auf neutrales Gebiet übertreten, da-
selbst auf die Dauer des Krieges internirt werden müssen, mit
der Massgabe zum Ausdruck bringt, dass es nicht schon genügt,
dass das mit Verwundeten u. s. w. beladene Schiff in einen neu-
tralen Hafen einläuft und damit das neutrale Gebiet betritt,
sondern dass die Verwundeten u. s. w. mit Genehmigung der
Hafenbehörde ausgeschifft sein müssen, wenn die Verpflichtung
zur Internirung für den neutralen Staat entstehen soll!?,
Im Zusammenhang mit der neuen Konvention steht der von
der Haager Konferenz ausgesprochene Wunsch, dass möglichst
12 Bei der Beurtheilung der "Bestimmung des Art. 10 kommt jedoch
noch ein anderer Gesichtspunkt in Betracht. Dass der neutrale Staat die
Verwundeten und Kranken nicht bei sich aufzunehmen verpflichtet ist, ist
selbstverständlich; es fragt sich aber, ob er dies thun kann, ohne die Pflichten
der Neutralität zu verletzen. Es ist dabei zu berücksichtigen, dass es für
einen Kriegführenden von erheblichem Vortheile sein kann, auf diese
Weise sich der ibn in seinen Operationen hindernden Kranken und Ver-
wundeten zu entledigen. Man glaubte aber in solchen Fällen den Rück-
sichten der Menschlichkeit Rechnung tragen zu sollen, da die Leiden der
Verwundeten und Kranken vermehrt werden, wenn sie nach einem vielleicht
weit entfernten Hafen eines der Kriegführenden gebracht werden müssen.
Zudem wird es oft genug vorkommen, dass die an’s Land gebrachten Ver-
wundeten und Kranken beiden Kriegführenden angehören.
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