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erscheine, den eindringenden bezw. eingedrungenen Feind zu
bekämpfen und den vaterländischen Boden zu befreien, und dass
diese Thatsache auch in den Grundsätzen des Kriegsrechts
Anerkennung finden müsse. Diese letztere Ansicht beruht jedoch
auf einer durchaus unklaren Auffassung der massgebenden Ver-
hältnisse. Gewiss wird es sich kein mannhaftes Volk nehmen
lassen, unter Umständen mit allen Mitteln den eingedrungenen
oder eindringenden Feind zu bekämpfen; sie muss aber dann
auch die Folgen tragen, die Repressalien, die der eingedrungene
Feind ergreift, auf sich nehmen u.s.w. Unmöglich ist es aber,
einen solchen Volkskrieg oder Volksaufstand in einem Codex
des Völkerrechts bezw. Kriegsrechts als einen rechtlich zulässigen
und vom Völkerrechte anerkannten und geregelten Zustand zu
erklären. Denn wenn bei einer Kodifikation des Kriegsrechts
im Interesse der Milderung der Leiden des Kriegs festgesetzt
wird, dass nur die organisirten Streitkräfte der kriegerischen
Gewalt unterworfen sind, so muss auch der Umfang dieser Streit-
kräfte und die Zugehörigkeit zu denselben genau bestimmt sein.
Es geht nicht an, dass sich ohne Weiteres jeder friedliche
Bürger durch Ergreifung der Waffen in einen Krieger ver-
wandelt und den nichts ahnenden Soldaten überfällt und an-
greift. .
Indem Art. 10 der Brüsseler Deklaration aussprach, dass,
wenn die Bevölkerung eines noch nicht besetzten Gebiets
bei Annäherung des Feindes die Waffen ergreift, um den Feind
abzuwehren, sie als kriegführende Partei betrachtet wird, auch
wenn sie nicht Zeit gehabt hat, sich in der im Art. 9 vor-
gesehenen Weise zu organisiren, vorausgesetzt nur, dass sie die
Kriegsgesetze und Kriegsgebräuche befolgt, so ist mit einer
solchen Bestimmung wohl die äusserste zulässige Grenze erreicht.
Trotzdem versuchte man namentlich von Seite der schweizerischen
Delegirten noch mehr zu erreichen, nämlich die Anerkennung,
dass jeder bewaffnete Widerstand gegen den eindringenden Feind