Full text: Archiv für öffentliches Recht.Fünfzehnter Band. (15)

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haft ist es doch, beobachten zu müssen, dass, während das englische und 
späterhin auch das französische Naturrecht einen so starken freiheitlichen 
Zug besitzt, die Hauptvertreter des deutschen Naturrechtes, die PUFENDORF, 
Taomasıus, WoLr und ihre Schüler Absolutisten sind und eine polizeistaat- 
liche und bureaukratische Staatsauffassung vertreten. Es ist für den Zu- 
sammenhang des deutschen Naturrechtes mit der Reformation wiederum be- 
zeichnend, dass die ersten Abschwenkungen nach individualistischen bezw. 
föderalistischen Richtungen von religiösen Momenten ausgehen. Sie finden 
sich in dem Auftreten der Gewissensfreiheit seit PUFENDORF und in dem 
Entstehen des kirchlichen Kollegialprinzips im protestantischen Kirchenrecht 
bei PrFArr und seinen Anhängern. Aber auch diese Gedankenreihe weist 
auf ausländische, auf englische Quellen. Eine Ausdehnung der individualisti- 
schen Richtung auf andere Gebiete der Politik und Rechtes findet sich erst 
bei HumsoLot, Fichte (welche beide vom Verf. sehr ungenügend behandelt 
sind) und bei KANnT, bei diesen dreien aber offenbar auch wieder unter dem 
Eindruck der englischen Philosophie und der französischen Litteratur und 
Revolution. Damit steht im Zusammenhange die originelle und in der Ge- 
schichte wohl kaum wiederkehrende Erscheinung, dass im übrigen die 
Opposition gegen den Absolutismus in Deutschland nicht aus dem Freiheits- 
bedürfnis des Volkes, geschweige denn dem der Rechtsgelehrten, sondern 
aus der Intelligenz seines Beamtentums und der Bureaukratie hervorwuchs 
(bei dem jüngeren Moser und SEUFFERT). Man kann sagen, dass in Deutsch- 
land die Ueberwindung der despotischen Staatsauffassung durch diejenigen 
inauguriert wurde, welche, berufen Fürstendiener zu sein, sich als auserwählt 
dazu betrachteten, Staatsdiener zu werden. In dieser Hinsicht nehmen aber 
leider die Rechtslehrer jener Zeit nicht zu ihrem Vorteil eine Ausnahms- 
stellung innerhalb der Bureaukratie ein! Das alles mag wohl seine tieferen 
Gründe haben und auch mit der damaligen kläglichen staatsrechtlichen Zer- 
rissenheit Deutschlands im Zusammenhang stehen. Immerhin stimmt die 
Betrachtung jener Zeitläufte in Deutschland eher dankbar gegen diejenigen, 
welche in dieser letzteren Beziehung Wandel geschaffen haben, als gegen 
seine grossen Rechtsgelehrten. Dass die deutschen Rechtsgelehrten zu der 
staatsrechtlichen Einigung in erheblichem Masse mitgewirkt hätten, wird sich 
kaum behaupten lassen, wenn man gleich bei angestrengtem Suchen mit der 
Lupe einige schwache und bescheidene Ansätze eines nationalen Empfindens 
in der Germanistik und in dem Bestreben finden kann, ein einheitliches 
„deutsches Privatrecht“ wenn auch nicht zu kodifizieren, so doch zu kon- 
struieren. 
Damit wollen wir Abschied von dem Werke nehmen, in der Hoffnung, 
dass es der ungewöhnlichen Arbeitskraft des Verf. in nicht zu ferner Zeit 
gelingen möge, den abschliessenden Band fertig zu stellen. 
Wien. Bernatzik. 
20*
	        
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