— 301 —
haft ist es doch, beobachten zu müssen, dass, während das englische und
späterhin auch das französische Naturrecht einen so starken freiheitlichen
Zug besitzt, die Hauptvertreter des deutschen Naturrechtes, die PUFENDORF,
Taomasıus, WoLr und ihre Schüler Absolutisten sind und eine polizeistaat-
liche und bureaukratische Staatsauffassung vertreten. Es ist für den Zu-
sammenhang des deutschen Naturrechtes mit der Reformation wiederum be-
zeichnend, dass die ersten Abschwenkungen nach individualistischen bezw.
föderalistischen Richtungen von religiösen Momenten ausgehen. Sie finden
sich in dem Auftreten der Gewissensfreiheit seit PUFENDORF und in dem
Entstehen des kirchlichen Kollegialprinzips im protestantischen Kirchenrecht
bei PrFArr und seinen Anhängern. Aber auch diese Gedankenreihe weist
auf ausländische, auf englische Quellen. Eine Ausdehnung der individualisti-
schen Richtung auf andere Gebiete der Politik und Rechtes findet sich erst
bei HumsoLot, Fichte (welche beide vom Verf. sehr ungenügend behandelt
sind) und bei KANnT, bei diesen dreien aber offenbar auch wieder unter dem
Eindruck der englischen Philosophie und der französischen Litteratur und
Revolution. Damit steht im Zusammenhange die originelle und in der Ge-
schichte wohl kaum wiederkehrende Erscheinung, dass im übrigen die
Opposition gegen den Absolutismus in Deutschland nicht aus dem Freiheits-
bedürfnis des Volkes, geschweige denn dem der Rechtsgelehrten, sondern
aus der Intelligenz seines Beamtentums und der Bureaukratie hervorwuchs
(bei dem jüngeren Moser und SEUFFERT). Man kann sagen, dass in Deutsch-
land die Ueberwindung der despotischen Staatsauffassung durch diejenigen
inauguriert wurde, welche, berufen Fürstendiener zu sein, sich als auserwählt
dazu betrachteten, Staatsdiener zu werden. In dieser Hinsicht nehmen aber
leider die Rechtslehrer jener Zeit nicht zu ihrem Vorteil eine Ausnahms-
stellung innerhalb der Bureaukratie ein! Das alles mag wohl seine tieferen
Gründe haben und auch mit der damaligen kläglichen staatsrechtlichen Zer-
rissenheit Deutschlands im Zusammenhang stehen. Immerhin stimmt die
Betrachtung jener Zeitläufte in Deutschland eher dankbar gegen diejenigen,
welche in dieser letzteren Beziehung Wandel geschaffen haben, als gegen
seine grossen Rechtsgelehrten. Dass die deutschen Rechtsgelehrten zu der
staatsrechtlichen Einigung in erheblichem Masse mitgewirkt hätten, wird sich
kaum behaupten lassen, wenn man gleich bei angestrengtem Suchen mit der
Lupe einige schwache und bescheidene Ansätze eines nationalen Empfindens
in der Germanistik und in dem Bestreben finden kann, ein einheitliches
„deutsches Privatrecht“ wenn auch nicht zu kodifizieren, so doch zu kon-
struieren.
Damit wollen wir Abschied von dem Werke nehmen, in der Hoffnung,
dass es der ungewöhnlichen Arbeitskraft des Verf. in nicht zu ferner Zeit
gelingen möge, den abschliessenden Band fertig zu stellen.
Wien. Bernatzik.
20*