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Geltung komme, wenn die Urtheilsfindung sich unter dem unmittel-
baren Eindruck der vorangegangenen Verhandlung vollziehe. Es
sei, und bleibe für ein Richterkollegium unmöglich, bei Verhand-
lung von zwölf und mehr Sachen an einem Sitzungstage die
Einzelbeiten längere Zeit derart im Gedächtniss zu behalten, wie
dies für die richtige Urtheilsfindung erforderlich wäre, zumal dann,
wenn umfangreiche Beweisaufnahmen stattgefunden hätten.
Der: Antrag wurde aber aus der Kommission heraus und
von dem Vertreter der verbündeten Regierungen entschieden
bekämpft und mit 10 gegen 5 Stimmen abgelehnt. Mithin ent-
hält die Civilprozessordnung nach wie vor keine Bestimmung über
den Zeitpunkt, an welchem die Berathung des Gerichts statt-
finden soll. Bezüglich der Verkündung der Entscheidung ist
ebenfalls die Vorschrift unverändert geblieben ($ 310 C.-P.-O.),
nach welcher die Verkündung des Urtheils in dem Termine zu
erfolgen hat, in welchem die mündliche Verhandlung geschlossen
wird, oder in einem sofort anzuberaumenden Termine, welcher
nicht über eine Woche hinaus angesetzt werden soll.
An dieser Bestimmung wollte auch der in der Kommission
gestellte Antrag nichts ändern. Er wollte die Befugniss des Ge-
richts, die Urtheilsverkündung auszusetzen, nicht beseitigen. Nur
die Berathung, Beschlussfassung oder Urtheilsfällung sollte sich
sofort an die mündliche Verhandlung der Sache anschliessen.
Aber einen Zweck hatte dieser Antrag offenbar nur, wenn er
bestimmte, dass sofort nach der Verhandlung die endgültige
bindende Berathung und Beschlussfassung des Kollegiums erfolgen
solle. In solchem Falle liegt jedoch keine Veranlassung vor, die
Verkündung der Entscheidung überhaupt auszusetzen. Die An-
nahme des Antrages Seitens der gesetzgebenden Faktoren hätte
zu der sofortigen Verkündung der Entscheidungen führen müssen.
Demgegenüber ist hervorzuheben, dass im Jahre 1875 die
Bestrebungen, den Entwurf der Regierung zu ändern, in der
Reichstagskommission sich gerade nach der entgegengesetzten