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durchgedrungen wäre, und wir, wie im französischen Prozess,
Abschriften der von den Parteien gewechselten Schriftsätze über-
haupt nicht bekämen, also Gerichtsakten nicht besässen, so würde
bei uns von einer sofortigen Publikation der Entscheidungen in
erheblichem Umfange nicht die Rede sein können. Die sofortige
Berathung und Entscheidung nach der Verhandlung hat zur
Voraussetzung, dass schon vor der mündlichen Verhandlung
Seitens des Gerichts auf Grund der Akten eine gründliche Vor-
arbeit geleistet wird.
Eine derartig gründliche Vorbereitung der Verhandlung auf
Grund der Akten widerspricht aber dem Prinzip der Mündlich-
keit sehr viel mehr, als die Vertagung der Berathung und Urtheils-
fällung auf einen späteren Tag. Die Einführung der sofortigen
Berathung und Entscheidung würde auch dort, wo die Mündlich-
keit des Verfahrens thatsächlich durchgeführt ist und nicht, wie
GOLDENRING ® in seinem Aufsatz über Begriff und Durchführung
des Grundsatzes der Mündlichkeit im Civilprozess mit Recht aus-
führt, eine blosse „Scheinmündlichkeit“ besteht, die Mündlichkeit
schwer gefährden und uns allmählich zur Schriftlichkeit oder
wenigstens zu dem preussischen Prozess des schriftlichen Ver-
fahrens mit angehängter mündlicher Verhandlung zurückführen.
Um dies nachzuweisen, bedarf es eines Eingehens auf die
Frage der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Seitens des
Gerichts. Wie das Verfahren hinsichtlich der Berathung und
der Verkündung der Entscheidung, so ist auch das Verfahren
bezüglich der Vorbereitung der Verhandlung bei den deutschen
Gerichten ungemein verschieden geordnet. Hierüber gewähren die
erwähnten Untersuchungen von BÄHr und Wach einen genügenden
Aufschluss. Darnach gibt es Gerichte, bei denen die Akten vor
der Sitzung unter sämmtlichen Mitgliedern cirkuliren. Bei anderen,
und das ist in einem grossen Theil von Deutschland die Regel,
5 Zeitschr. f. Civilprozess Bd. XIV S. 73.
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