Full text: Archiv für öffentliches Recht.Fünfzehnter Band. (15)

—39 — 
zu legen. Dagegen würde ein Positivismus, wie KAHN ihn ver- 
tritt, den völkerrechtlichen Verkehr und die gütliche Beilegung 
von völkerrechtlichen Streitigkeiten durch Rechtsgutachten und 
Schiedssprüche so ziemlich unmöglich machen. Auch die strengsten 
Positivisten haben doch bisher anerkannt, dass man aus völker- 
rechtlichen Sätzen Folgerungen ziehen könne zur Beurtheilung 
vorkommender Fälle. Die juristische Logik ist aber nicht eine 
mathematische; sie argumentirt nolens volens aus der „Natur 
der Sache“. Wie sollten die Regierungen sich helfen, wenn 
Völkerrecht nur das wäre, was ohne Weiteres ein absolut fest- 
stehender völkerrechtlicher Satz nach dem Wortlaut, dem Buch- 
staben ergiebt? Und wenn es immer nöthig wäre, eine Gewohn- 
heit nachzuweisen — im Sinne KAnn’s eine von Niemandem 
bezweifelte Gewohnheit — wie wäre da ein Fortschritt im Völker- 
recht überhaupt möglich? Die gesammte über Streitfälle ergehende 
diplomatische Korrespondenz, die Schiedssprüche zeugen gegen 
einen solchen Positivismus, und auch den Engländern fällt es 
nicht ein, die Argumentation aus der Natur der Sache zu miss- 
achten — jedenfalls dann nicht, wenn diese Argumentation zu ' 
ihren Gunsten zu lauten scheint. Man beruft sich dabei zur ’ 
Unterstützung gern auf Präzedenzfälle; aber einzelne Präzedenz- 
fälle ergeben noch bei Weitem nicht ein Gewohnheitsrecht im 
eigentlichen und strengen Sinne, zumal der einzelne Staat ja oft 
noch einwenden könnte, ihn gehe eine nur für andere Staaten 
bestehende Uebung nichts an, falls er sie nicht positiv an- 
erkannt habe. Da Kann übrigens unter Berufung auf die eng- 
lische Jurisprudenz und deren Positivismus einen Vorangriff 
gegen die freiere internationale oder mehr universelle Behand- 
lung des internationalen Privatrechts richtet, so mag es gestattet 
sein, den englischen Positivismus, der in einem „glänzenden“ 
von KAun citirten Vortrage des Lord Chief- Justice RussEL 
einen so beredten Ausdruck gefunden hat, ein wenig zu be- 
leuchten.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.