Full text: Archiv für öffentliches Recht.Fünfzehnter Band. (15)

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solcher überhaupt nicht mehr in Betracht käme, so ist das eine 
thatsächliche Feststellung, über welche das Reichsgericht nicht 
hinwegkann. 
Noch deutlicher wird die Sache beim zweiten Anfechtungs- 
grund. Die Auslegung eines Verwaltungsaktes ist natürlich nur 
dann den Gerichten verboten, wenn sie irgendwie zweifelhaft ist. 
Ziweifellose Verwaltungsakte haben sie einfach so anzuwenden, 
wie sie sind; das ist ja schliesslich auch eine Auslegung, aber 
eine zulässige. Das Reichsgericht erledigt die Frage mit dem 
Satz: „Im vorliegenden Falle ist festgestellt worden, dass der 
Inhalt klar und zweifellos sei.“ Nun ist es allerdings in der 
französischen Rechtsprechung der Kompetenzkonflikte unwandel- 
barer Grundsatz, dass es nicht darauf ankommt, ob das Gericht, 
dessen Urtheil angefochten ist, die Auslegung für zweifellos hält; 
es fragt sich vielmehr, ob eine Meinungsverschiedenheit objektiv 
möglich, ob etwas auszulegen war?®. Allein die Revisionsinstanz, 
wenn sie sich streng gebunden halten will an den „festgestellten 
Thatbestand“, muss diese thatsächliche Frage eben nehmen, wie 
sie das Gericht gestaltet hat. Und das will sagen, dass sie für 
den Schutz dieser Zuständigkeitsgrenze der Gerichte überhaupt 
lahmgelegt ist. Sie könnte nur dann eingreifen, wenn das Ge- 
richt sich herbeigelassen hätte, thatsächlich festzustellen, dass die 
von ihm gegebene Auslegung zweifelhaft ist. Wie die Dinge 
menschlich zugehen, geschieht das wohl nie, es sei denn, dass 
einmal ein Gericht nicht wüsste, dass das ein Revisionsgrund ist. 
2° Aucoc, Droit adm. I n. 277; Kassationshof vom 27. Febr. 1855 
(DarLoz 55 p. 296): „il ne depend pas d’eux d’usurper les attributions de 
l’autorit6 administrative en qualifiant actes clairs des actes ambigus et en 
pretendant appliquer quand ils ne font veritablement qu’interpreter.“ Der 
Staatsrath als Kompetenzkonfliktshof hat sogar ausgesprochen, dass es ge- 
nüge, wenn die Verwaltungsbehörde ihrerseits behauptet, ein Verwaltungs- 
akt bedürfe der Auslegung; das binde das Gericht formell. Staatsraths- 
Entsch. vom 8. April 1865, Note dazu in Journ. du Pal., jurispr. adm. XIV 
p. 643,
	        
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