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getreten. Dieses Gebiet war kein „wildes Land“, sondern altes
Kulturland, das einer Staatsgewalt bedurfte und feste Ordnungen
für diese mitbrachte. In diesem Sinne hatten es die Sieger bis-
her schon verwaltet, soweit das Völkerrecht ihnen dazu die
Macht gab?!. Jetzt konnte das Reich kraft seines freien Ver-
fügungsrechts die Einverleibung in einen Gliedstaat vollziehen,
oder Land und Leute schlechthin nur als seine Herrschafts-
gegenstände behandeln (was den sog. Reichsverwaltungsbezirk
gegeben hätte) oder aber es konnte behufs besonderer staatlicher
Ordnung eine eigene juristische Person des öffentlichen Rechts
daraus machen, in starker Abhängigkeit vom Reich. Das Ver-
einigungsgesetz vom 9. Juni 1871 hat sich für das letztere ent-
schieden. Elsass-Lothringen ist hier gedacht als ein gesondertes
Gemeinwesen nach Art eines Staates mit festen Gebiets-
grenzen, mit einem dadurch bestimmten Volk, mit einer zu diesem
gehörigen, nur für dieses Gebiet wirksamen Staatsgewalt, der
„Staatsgewalt in Elsass-Lothringen“??. Allein die Staatsgewalt,
die da thätig wird, steht in fremdem Recht. Das ganze Gemein-
wesen ist eine Einrichtung des Reichs, von diesem jeder Zeit
veränderbar und seines Sonderbestandes zu entkleiden. Auch so
lange es dabei stehen bleibt, bestellt das Reich die Träger der
2! LoEnına, Die Verwaltung des Generalgouvernements im Elsass S. 26 ff.
Die Unterscheidung, welche dort (S. 28) gemacht wird: „keine Staatsgewalt,
sondern eine höchste Gewalt, ... . die allein im Völkerrecht ihre Begründung
und ihre Begrenzung findet“, ist nicht genau. Diese „höchste Gewalt“ ist
allerdings den Unterthanen gegenüber die Staatsgewalt, nur ist sie eben in
völkerrechtlich beschränktem Maasse zu üben.
22 In den Verhandlungen des Reichstags über das Vereinigungsgesetz
vom 9. Juni 1871 trat diese Auffassung Elsass-Lothringens als eines eigenen
öffentlichen Gemeinwesens kräftig genug hervor. Vgl. namentlich die Aeusse-
rungen des Berichterstatters LameY in der Sitzung vom 22. Mai 1871 (Hırra's
Annalen 1871 S. 916, 917). In all den verschiedenartigen Theorien, die
seither Elsass-Lothringen juristisch erklären wollen, kommt immer auf die
eine oder andere Art die besondere juristische Persönlichkeit zur Anerkennung;
vgl. unten Note 22, 23, 24. Mit dieser wird man also rechnen müssen als
mit einer Thatsache.