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Handbuch geebneten Terrain, nicht kritiklos, aber willig, die dort
breit angelegte Arbeit aufzunehmen und wo es noth thut, energisch fort-
zuführen. Sie werden so beide von zwei der grössten deutschen Hochschulen
aus, von Berlin und München, der studierenden Jugend: den Zugang auf-
schliessen zu einer Disziplin, die der deutsche juristische Studienplan so
lange vernachlässigen konnte, so lange das deutsche anderen Völkern „ver-
trauensvoll* die Lenkung und Leitung der Weltereignisse unthätig überliess.
Es ändern sich die Zeiten. Die alte Wacht am Rhein hat ihre Bedeutung
eingebüsst und füllt das Programm der auswärtigen Politik Deutschlands
längst nicht mehr aus: es hat heute Wachtposten in allen Welttheilen zu
Wasser und zu Land. Bei dieser veränderten Sachlage mag das Völkerrecht
und internationale Privat- und Strafrecht, das Seerecht und Kolonialrecht
eine Zeitlang hinter der jetzt dringendsten rechtswissenschaftlichen Arbeit
der Bewältigung der mit der Kodifikation des Privatrechts zusammen-
hängenden Aufgaben noch zurückstehen. Am letzten Ende wird doch in
absehbarer Zeit dem Nothwendigen der Vorrang vor dem Dekorativen ge-
geben werden und — la raison finira par avoir raison. Dann wird man aber,
eventuell selbst auf Kosten der „formula in factum concepta* oder des „par-
tus ancillae* an den deutschen juristischen Fakultäten zu den Völkerrechts-
lehrbüchern ebenso oft und ebenso pflichtgemäss greifen, wie dies an fran-
zösischen Rechtsfakultäten längst der Fall geworden. Dass dann für die
Zwecke des Studiums und der äussern Orientirung die Bücher v. Liszr’s und
ULLMAnN’s neben dem schweren Geschütz des grossen Handbuchs noch eine
sehr dankenswerthe Spezialaufgabe zu erfüllen berufen sind, soll hier
ohne Weiteres willig anerkannt und damit der Fortschritt verzeichnet
werden, den die Völkerrechtsdisziplin den jüngsten knapperen Bearbeitungen
verdankt.
Im Einzelnen seien mir noch im zugemessenen Raum einige Bemer-
kungen gestattet, die die beiden Lehrbücher unter Ausschaltung des
litterargeschichtlichen Zusammenhanges in ihrer Eigenart zu charakterisiren
suchen.
ULmann’s Völkerrecht ist auf einem umfassenderen litterarischen Appa-
rate aufgebaut und fügt sich nach Umfang und Methode dem Arbeitsplan
des „Handbuchs des öffentlichen Rechts“ ein. Es ist nur in dessen
Rahmen die zweite Auflage der ersten von BuımeErincg herrührenden Dar-
stellung des Völkerrechts. In Wirklichkeit ist es ein durchaus selbständiges,
nach Disposition und Ausführung originales Werk. So gross nämlich die
Erwartungen gewesen, die man nach der Richtung seiner Vorarbeiten an die
Systematik des BuLmeErincq’schen Buches stellen konnte, so wenig entsprach
jenen thatsächlich seine erste Bearbeitung des Völkerrechts im Handbuch.
ULLMAnN’s System ist dagegen in sich geschlossen und doch elastisch
genug, um die Stofferweiterungen aufzunehmen, die die flüssig gewordene
Materie täglich immer nothwendiger macht. In der Lehre von den Sub-