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jekten des Völkerrechts gibt UrLmann einen Exkurs in die Allgemeinen
Lehren des Staatsrechts, die er wohl auch für die Disziplin des Völkerrechts
reklamiren kann; freilich entgeht die Materie auch hier nicht dem tradi-
tionellen Schicksal blutleerer Abstraktion oder störender Ueberfülle. Hier
finden sich denn natürlich auch, gleich wie in der Lehre von den Quellen,
die meisten Sätze, denen der fachlich betheiligte Leser mehr als ein Frage-
zeichen beifügen möchte, oft gerade gestützt auf die überall mit grosser Sorg-
falt angeführten Citate und Werthurtheile aus der Litteratur aller Kultur-
völker. Namentlich empfindet man es als Fessel, wenn man sieht, wie ein
scharf ausblickender Autor nur im Interesse der Kontinuität der Lebre und
um nicht heterodox zu erscheinen, Lehrsätze übernehmen und überliefern
muss, deren Nutzungswerth für Theorie wie Praxis gleich minimal ist, deren
didaktischer Werth völlig versagt. Ich habe dabei einen grossen Theil der
Lehre von der Souveränetät, von der Halbsouveränetät, von der Rechts-
gleichheit der Staaten, von den Titel-, Ceremonial- und Rangverhältnissen
u.a. im Auge. Urmann’s Sorgfalt für das Detail bringt dagegen vollen Er-
trag in den die Rechtsverhältnisse des Staatsgebietes, und die rechtliche
Stellung der Individuen behandelnden trefflichen Abschnitten. Im siebenten
Buche: Gemeinsame Wirksamkeit der Staaten für die Aufgaben der Rechts-
und Wohlfahrtspflege werden die Hauptgebiete des internationalen Ver-
waltungsrechts allerdings mit einer merklichen Bevorzugung der in das Straf-
und Prozessrecht fallenden Fragen eingehend erörtert. Im Interesse einer
möglichsten Vollständigkeit des gebotenen Gesammtbildes des grossen inter-
nationalen Gemeinschaftslebens hätte ich es gerne gesehen, wenn Verf. auch
einige neue Rechtseinrichtungen, die sich in der Staatenpraxis immer deut-
licher ausprägen, in Behandlung gezogen hätte. So die wechselseitige Hilfe
in der Führung der Standesregister, die Auslieferung der Volks-
zählungsergebnisse, Armenpflege, Nachlassverwaltung, zahlreiche
auf den Güterumlauf und den kaufmännischen Verkehr bezügliche Rechts-
einrichtungen der Fremdenpolizei etc.
Das soll nicht billiges Besserwissen markiren, sondern soll nur meinen
aus eingehendem Studium des Werkes fliessenden bescheidenen Beitrag bilden
zu der hoffentlich bald zu gewärtigenden neuen Auflage des hervorragend
tüchtigen und tauglichen Buches.
v. Lıszt's Völkerrecht ist aus dem Bedürfniss des akademischen Lehr-
vortrages hervorgegangen und trägt diesem mit Methode Rechnung. Es ist
darum keine in’s Detail gehende Atelier-, sondern wirksame Plein-air-Arbeit,
im besten Sinn des Wortes auf unmittelbare Wirkung berechnet. Dazu gehört
Temperament der Darstellung und daran fehlt es v. Liszt nicht. Es ist in
der That erstaunlich, wie viel er an abgeschlossenem, zu festen Rechts-
grundsätzen kondensirtem Stoff aus Quellen- und Litteraturarbeit geschöpft
und in knappe Programmsätze gebracht bat. So vortheilhaft dieser in unserer
Lebre zum ersten Mal gemachte Versuch ist, der studierenden Jugend und