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locken lassen. Er legt diesen wie einzelstaatlichen Behörden und Organen
unmittelbar selbständige Rechtspflichten auf aus „staatsverträglich ge-
setztem internationalem Recht“. Das halte ich aus Gründen, die ich hier
zu wiederholen oder näher zu entwickeln leider mir versagen muss, für eben-
so unrichtig, wie ich es’ für durchaus richtig halte, dass KAUFMANN die
Begründung von subjektiven Rechten der Individuen kraft Völkerrechts, wenn
auch in verschiedenen Abstufungen, für thatsächlich vorhanden annimmt.
Der Grund meiner Zustimmung wie meines Widerspruches ist immer der
gleiche, der sich dem Kaurmann’schen Prinzip entgegenstellt: die Staats-
angehörigkeit der Individuen, bezw. der einzel- oder mehrstaatliche Charakter
jener internationalen Organisationen bildet den nothwendigen Durchgangs-
punkt, den diese wie jene erreicht haben müssen, um in das Licht völker-
rechtlicher Betrachtung und völkerrechtlicher Persönlichkeit gelangen zu
können. Hier liegt ein dogmatischer Dissenspunkt vor, der wohl erst in
der Revisionsinstanz der monographischen Untersuchung seine endgültige
Lösung oder Aufhellung finden kann. — Vorläufig anerkenne ich willig, dass
KAUFMANN zur Fundirung seiner Thesen sich sehr umsichtig positivrecht-
liches Quellen- und Judikatenmaterial aus der Gesetzgebung und Recht-
sprechung aller Kulturstaaten zu sichern bemüht war; er vermeidet es grund-
sätzlich den Boden des positiven Rechts unter den Füssen zu verlieren. Er
sucht sich auch nicht an eine Schulautorität zu klammern, sondern erkennt die
Pflicht selbständiger Beweisführung in vollem Umfange an. KAurMmAann hat
darum in seinen Ausführungen über die Bildung und „Inwirksamkeitsetzung“,
sowie über die Rechtskraft internationaler Rechtsordnung mittelst einer in
unserer fachlichen Litteratur bisher wenig angewandten methodischen Her-
anziehung namentlich des amerikanischen Reports, einen wichtigen Beitrag zur
Lehre von der überstaatlichen Norm, vom Staatsvertrage, seiner Eingehung,
Geltung und Wiederaufbebung geliefert, der der Klarstellung des komplizirten
Problems von dauerndem Nutzen sein wird. Kaurmann’s Schreibweise fordert
den Einsatz intensiven Nachdenkens und willigen Eingehens auf die Intentionen
des Verfassers. Das ist nicht Jedermanns Sache; wer aber den Einsatz leistet,
kann auf reichen Gewinn zählen. Das wird freilich nicht hindern, dass
namentlich die in französischer und englischer Sprache erscheinenden Werke
unseres Fachs mehr als ein Menschenalter werden vorüberziehen lassen,
bevor sie aus den grundlegenden Studien Kaurnann’s den sich darbietenden
reichen Nutzen ziehen werden. Stoerk.
Staatslexikon. Herausgegeben im Auftrage der Görres-Gesellschaft zur
Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland durch Anorr
BRUDER, nach dessen Tode fortgesetzt durch JuLtus BacHEMm, Rechts-