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individuellen Willens im neuen Vormundschaftsrecht nicht ge-
blieben. Trotz des Offizialprinzips des $ 1774 hat das formelle
Vormundschaftsrecht in dem denkbar weitesten Umfange der
durch „ein rechtliches Interesse“ gerechtfertigten Sachlegitima-
tion!® das Recht der einfachen Beschwerde, also ohne präklu-
dierende Fristen gewährt. Sie richtet sich gegen jede „Verfügung,
durch welche die Anordnung einer Vormundschaft abgelehnt oder
eine Vormundschaft aufgehoben wird“. Damit ist Jedem, der
zu einer geschäftsunfähigen oder in der Geschäftsfähigkeit be-
schränkten Person in einem Verhältnisse rechtlicher Bedeutung
steht, ohne Frage die formelle Fähigkeit verliehen, in rechtlich
geordnetem Instanzenzuge auf die an sich von seinem Antrage
unabhängige im Fragefalle fehlende Vertretung hinzuweisen und
ihre sofortige Bestellung zu erzielen. Wenn das Gesetz weder
ein „berechtigtes Interesse“ noch die Beeinträchtigung oder die
Verletzung eines Rechtes voraussetzt, so ist die theoretisch viel-
leicht angreifbare Erweiterung der Rechtsfähigkeit andererseits
eine nicht zu unterschätzende Kontrolle innerhalb des weit aus-
gedehnten Interessenbereiches'*. Die Vollendung des formellen
Rechtsschutzanspruches kennzeichnet sich in der gesetzlichen
Anomalie, dass neben der Interessengruppe auch dem minder-
jährigen Kinde oder dem unter Vormundschaft zu stellenden
Mündel das gleiche Beschwerderecht ausdrücklich gestattet ist.
Nicht mit Unrecht!” hebt JELLINEK in seinem Werke her-
vor, dass der von ihm so scharf hervorgehobene Gegensatz
zwischen Dürfen und Können in der bisherigen Litteratur
noch nicht in dieser klaren Form erkannt wurde. Insbesondere
15 8 57,1 cit. Ges.
18 Die preuss. Vormundsch.-O. ging noch viel weiter. Der Gedanke einer
im öffentlichen Interesse jedem zustehenden Popularklage erfuhr bei der
Beratung: im Landtage keinen Widerspruch. S. Komm.-Bericht d. Herren-H.
zu 8 10 und Bericht d. K. d. Abgeord.-H. zu $ 10 des Entwurfs.
17 8, die Besprechung von Mayzr in diesem Archiv Bd, IX S. 281#f,