— 201 —
scheiden darf, sondern allein das Gesetz, das unwandelbar
gleiche, das als ein immer Gegenwärtiges besteht, kein Ziel in
der Zukunft hat; denn diesem zu Folge darf nur ein von der
Persönlichkeit des Herrschers getrenntes Organ, das bloss dem
Gesetze dient, die Entscheidung finden.“ Dass die ordentlichen
Gerichte (anders Prisen-, Militärgerichte) nur formellen Gesetzen
unterthan sein sollten, erkannte die Staatsregierung 1865 durch
den Grafen zur Lippe an.
IV. Was folgt aus dem Voraufgeführten? Erklärungen der
Staatsregierung, eines Ministers, eines Gelehrten sind an sich
kein zwingender Beweis. Sie sollen auch nur gegnerische Argu-
mente entkräften. Eine fünfzigjährige Praxis, die vor den Augen
des Landtages geübt würde, möchte dagegen ein hinreichender
Beweis sein. Denn wohin soll man im Staatsleben kommen,
wenn das von Millionen und aber Millionen millionenmal Befolgte
(Schulregulative, Militärersatzinstruktionen, Militärdisziplinarord-
nung, Kontrollordnungen, Telegraphenordnungen, Eisenbahn-
betriebsreglements) so leichthin mit allgemeinen Worten an-
gefochten werden kann? Dann könnte ebenso gut die Rechts-
beständigkeit des Herrenhauses, der Auflösung des Deutschen
Bundes u. s. w. angefochten werden.
Der volle Beweis dafür, dass es in Preussen noch selbstän-
dige Verordnungen geben darf, liegt aber darin (negativ), dass
Gesetz im vorkonstitutionellem Preussen wie in Belgien!’ ein
formeller Begriff ist, also aus der Anwendung dieses Wortes in
—— ll [
10 VaAUTHIER, Belgisches Staatsrecht S. 99: „Die deutsche Unterschei-
dung zwischen Gesetzen im formellen und materiellem Sinne — würde in
Belgien schwerlich verstanden werden. Als Gesetz wird jeder Akt der
souveränen Gewalt betrachtet, welcher zu freier Giltigkeit die Beobachtung
der zur Schaffung eines Gesetzes nothwendigen Förmlichkeiten erfordert.“
S. im Allgemeinen auch Sarwey, Allgemeines Verwaltungsrecht in Marquard-
sen’s Handbuch 8. 9ff.: „In keinem Staate ist eine Norm Gesetz, welche
nicht die Willensäusserung der höchsten Gewalt ist. Diese höchste, die
gesetzgebende Gewalt“ u. s, w.