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stimmungen allzusehr als eine überall zielbewusste, folgerichtige
und abgeschlossene Entwickelung betrachtet und allzuwenig unter-
schieden hat, welche Anschauungen und Bestrebungen im ein-
zelnen Augenblicke bei den leitenden Persönlichkeiten überwogen,
ob grundsätzliche Aenderungen in wichtigen Teilen der Ver-
fassung auch entsprechende Massnahmen an anderen Stellen zur
Folge hatten, oder ob ihre konsequente Durchführung übersehen
wurde, endlich inwieweit die Verfolgung von schliesslich auf-
gegebenen Zielen doch teilweise zu Ergebnissen geführt hat,
welche im Sinne der Einigung über den Gesamtcharakter der
Verfassung, wie sie endgültig verwirklicht wurde, hinausgehen.
II. In Art. 63 Abs. 1 bestimmt die Reichsverfassung: „Die
gesamte Landmacht des Reiches wird ein einheitliches Heer
bilden, welches im Krieg und Frieden unter dem Befehle des
Kaisers steht.* Die weiteren Absätze und die folgenden Artikel
regeln u. a. die Befugnisse des Kaisers und die Rechte der
einzelstaatlichen Regierungen in Bezug auf das Militärwesen. In
der Verfassung des Norddeutschen Bundes lautete der Neben-
satz im Art. 63 Abs. 1: „welches im Krieg und Frieden unter
dem Befehle Sr. Maj. des Königs von Preussen als Bundesfeldherrn
steht.“ In den übrigen Bestimmungen hiess es jeweils „Bundes-
feldherr“ statt „Kaiser“, Der gleiche Wortlaut, wie ihn Art. 63
N. B.-V. enthält, findet sich in Art. 59 des Entwurfs dazu vor.
Diese Uebereinstimmung hat meines Erachtens den schweren Irr-
tum veranlasst, welcher die Hauptursache der ganzen Unstimmig-
keit unserer Militärverhältnisse bildet. Sie hat die praktischen
Politiker wie die staatsrechtliche Theorie dazu geführt, den ur-
sprünglichen Sinn und Zweck der Bestimmungen, wie er dem
Entwurf vom 9. Febr. 1867 eigen war, der aber im Widerspruch
steht zu der vom Entwurf hier grundsätzlich abweichenden Ver-
fassung des Norddeutschen Bundes und der in dieser Richtung
noch weiter gehenden Reichsverfassung, unter veränderten Ver-
hältnissen dem Art. 63 weiter zu Grunde zu legen.