— 363 —
teils in Traunstein verlebte, in die Epoche deutschen Einheits-
kampfes und deutschen Einheitssieges. Und dies war für SEYDEL’s
Liebensgang von entscheidender Bedeutung. Dem staatsrecht-
lichen Erfolge deutscher Waffenthat,; der Gründung eines auch
SEYDEL’s Heimatland umfassenden deutschen Verfassungsbundes
verdanken wir ausschliesslich und allein, dass SEYDEL gerade der
Staatsrechtswissenschaft gewonnen war.
Wie manch anderen, später und heute als Staatsrechtslehrer
hervorragenden, tüchtigen Jünger der Rechtswissenschaft, der bis
dahin einem anderen Zweige der Jurisprudenz zugethan gewesen,
zog auch SEYDEL das grossartige staatsrechtliche Problem des
Jungen Deutschen Reiches an. SEYDEL war dazu einer der ersten
auf der Stelle. Mutig und erfolgreich trat er an die Grundfrage
heran. Im Jahre 1872 erschien in der Zeitschrift für die ge-
samte Staatswissenschaft S. 185ff. — also ist sie anfangs 1872
entstanden — seine epochemachende Abhandlung über den
„Bundesstaatsbegriff“ und zwar insbesondere über die rechtliche
Natur der Vereinigten Staaten, der Schweiz und des Deutschen
Reiches. Die Musse nach dem Staatskonkurs, dem er sich im
Dezember 1871 unterzog, bis zu seiner Einberufung als Regierungs-
accessist, welche zum 1. März 1872 eintraf, hatte er zum Studium
der interessanten Frage benutzt. Schon im Jahre 1873 folgte,
auf den Ergebnissen dieser „staatsrechtlichen Untersuchung“
konsequent weiterbauend, sein prächtiger, eingehender „Kom-
mentar zur Verfassungsurkunde für das Deutsche Reich* und
nahezu gleichzeitig damit — noch in demselben Jahre — sein
zwar kleineres, aber jedenfalls mühevolleres und überaus hervor-
ragendes Werk über allgemeines Staatsrecht, die „Grundzüge einer
allgemeinen Staatslehre“, in welchem der jugendliche, knapp
27 Jahre alte Verfasser ein völlig neues, selbständiges System
der Staatsrechtslehre aufrollte. Dasselbe war so eigenartig und
anziehend, dass später, als SEYDEL zu einer der ersten Autori-
täten deutscher Staatsrechtswissenschaft emporstieg und so auch