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worden wäre. Er hätte seines Berufes völlig entsagen müssen,
So war es ihm möglich, trotz Leidens seinem Berufe treu zu
bleiben. Denn der wissenschaftliche Verkehr, namentlich im Ge-
biete der Geisteswissenschaften, vollzieht sich doch nahezu aus-
schliesslich in schriftlicher, in litterarischer Form. Die Litteratur
aber konnte SEYDEL ununterbrochen studieren und sich auch
selbst noch am wissenschaftlichen Leben rege beteiligen. Dazu
kommt die besondere Art des Spezialzweiges der Rechtswissen-
schaft, dem er diente. Staatsrechtliche Fragen spielen sich zu
einem nicht geringen Teile im täglichen öffentlichen, im Partei-
und parlamentarischen Leben ab. Von diesem gibt ein getreues
Bild die öffentliche Presse. Und so war SEYDEL durch eifrige
Lektüre der Tageszeitungen auch in der Lage, mit der politischen
Welt in Verkehr zu bleiben, ja sogar durch Mitarbeiterschaft an
ersteren an dem Gang politisch-parlamentarischer Verhandlungen
mitzuwirken. Ohne sein Zuthun wird er wohl auch als mass-
gebender Fachmann von aussen her zur Stellungnahme in politi-
schen Fragen veranlasst.
So sehen wir SEYDEL in def ersten Periode seiner Leidenszeit,
bis zum Frühjahr 1899, fest und unablässig an der Arbeit. 1894
leitete er den Uebergang der Kritischen Vierteljahresschrift aus
einem Verlag in einen anderen und gab er sein Lehrbuch des
bayerischen Staatsrechtes, den sog. kleinen Seydel, in zweiter
Auflage heraus. 1895 übernahm SEYDEL zusammen mit KRAZEISEN
nach dem Rücktritt LuTHArpT’s von der Redaktion die Heraus-
gabe der Blätter für administrative Praxis, und stellte er, zwar
ohne tiefgehende Aenderung, aber unter Nachtrag der seit 1884
neu hervorgetretenen wissenschaftlichen Litteratur und Recht-
sprechung das Manuskript zur zweiten, in drei grossen Bänden
erscheinenden Auflage seines grossen bayerischen Staatsrechts,
des „grossen Seydel“, her, die dann auch ebenso, wie ein Grund-
riss zu Vorlesungen über Reichsstaatsrecht, 1896 zur Ausgabe
gelangte. 1897 beschenkte er Fachgenossen und Politiker mit der