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Petition, soweit sie sich gegen eine individuelle Beeinträchtigung
richtet, im Gegensatze zu den förmlichen Rechtsmitteln wie der
formlosen Verwaltungsbeschwerde zusammen. Nachdem alle
anderen gesetzlichen Mittel erschöpft sind, soll die öffentliche
Meinung gewonnen werden.
Im Gegensatze zur absoluten Monarchie, die alles für das
Volk, nichts durch das Volk thun wollte, im Gegensatze zu dem
Verfassungsexperimente des Vereinigten Landtages, das nur
Rechte und Interessen einzelner Stände gelten liess, erkennt der
moderne Staat die öffentliche Meinung an und sucht mit ihr zu
rechnen, Das geht so weit, dass die Angelsachsen geradezu die
öffentliche Meinung für den wahren Träger der staatlichen Sou-
veränetät erklären'®, die Romanen die Idee des Gesellschafts-
vertrages mit der fortdauernden Herrschaft der öffentlichen Mei-
nung rechtfertigen'*, Die öffentliche Meinung ist freilich keine
Rechtsinstitution, sondern ein politischer Faktor. Aber sie ver-
schafft sich Geltung in staatsrechtlichen Institutionen. Hierher
gehört das Vereins- und Versammlungsrecht, die Pressfreiheit
und das Petitionsrecht, die freilich alle aus politischen Kampf-
mitteln nur durch die ihnen gezogenen Rechtsschranken zu
Rechtsinstitutionen werden. So verhält sich das Petitionsrecht
zur Öffentlichen Meinung wie das Mittel zum Zwecke.
Die Gewinnung der öffentlichen Meinung erfordert nun aber
die breiteste Oeffentlichkeit. Damit bekommt das Petitionsrecht
wieder von der politischen Seite einen charakteristischen Zug,
der ihm bei der rein juristischen Betrachtungsweise fremd bleibt.
Bitten kann man einen jeden, eine Behörde, den Monarchen
persönlich. Dass solche Bitten, nach öffentlicher Agitation, mit
5 Vgl. Rırcnie, On the conception of sovereignty in den Annals of
the American Academy of Political and Social Science, vol. I (Philadelphia
1890) S. 385 ff.
18 Vgl. VAUTHIER, La science et l’Etat en Allemagne, Revue de l’uni-
versit&E de Bruxelles 1897.