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Dr. August Sturm, königl. Notar und Rechtsanwalt zu Naumburg a. $.,
Revision der gemeinrechtlichen Lehre vom Gewohnheits-
recht unter Berücksichtigung des neuen deutschen Reichs-
rechts. Leipzig, Duncker & Humblot, 1900. VIII und 291 8.
M. 7.—.
Es sind nicht neue Wege, die der Verf. mit der vorliegenden
Arbeit betreten hat. Schon mit mehreren Vorarbeiten ist er in eine Er-
örterung der Lehre vom Gewohnheitsrechte eingetreten. Er begann 1876
mit seiner Doktordissertation „Kampf des Gesetzes mit der Rechtsgewohn-
heit“, es folgten später die Arbeiten über „Gewohnheitsrecht und Irrtum“
und „Recht und Rechtsquellen“ (1883). Die jetzt erschienene Schrift soll
die Untersuchungen des Verf. auf diesem Gebiete zu Ende führen und
nach seinen eigenen Worten in dieser schwierigsten Frage die eingeschlagene
neue Bahn bis zum letzten möglichen Ziele verfolgen.
Programm und Ziel seiner Untersuchungen hat der Verf. selbst angedeutet
mit den beiden Mottos, die er auf das Titelblatt setzt: „Durch die histo-
rische Schule hindurch, über die historische Schule hinaus“, und „Die all-
gemeine Rechtslehre giebt uns heute nur eine neue Rechtspsychologie“.
Nachdem Verf. in einem einleitenden Paragraphen das Rechts-
gefühl als Ausgangspunkt und Ende seiner Lehre hingestellt hat, behandelt
er zunächst die bisher vertretenen Ansichten vom Gewohnheitsrechte. Es
kommt dabei namentlich in Betracht die Zurückführung des Gewohnheits-
rechtes auf den Willen des Gesetzgebers, den Willen des Volkes, die Ueber-
zeugungstheorie der historischen Schule, die theologische Begründung
STAHLS etc. Indem Verf. hier eine erschöpfende Darstellung aller wich-
tigeren Lehren vom Gewohnbeitsrechte giebt, verbindet er damit eine
Kritik, die trotz aller Anerkennung der Verdienste der historischen Schule
doch im wesentlichen das Unzureichende der bisherigen Auffassungen nach-
zuweisen sucht.
Den neuen und richtigen Weg, auf dem das Problem des Gewohnheits-
rechtes überhaupt gelöst werden kann, glaubt Verf. gefunden zu haben
in der Rechtspsychologie. Unter Verwerfung jeder philosophischen oder
sonst ausserhalb der Rechtswissenschaft liegenden Erklärung wird die Gel-
tung des Gewohnheitsrechtes zurückgeführt auf einen dem Menschen ange-
borenen Trieb, das Rechtsgefühl. Verf. fasst seine Lehre selbst zusammen
in den Sätzen:
1. Die Uebenden bindet an ihre eigene Uebung das Rechtsgefühl.
2. Die Nichtübenden bindet an die Rechtsübung der Uebenden dasselbe
Rechtsgefühl,
8. Das so entstandene Uebungsrecht gilt überall ohne Hinderung als
Recht, wo es da ist.
4. Das Gesetz ist die abgeleitete Rechtsform; aus der Uebung, dem Gesetz-
geber zu gehorchen, entstanden und gehalten von demselben Rechtsgefühl.
Archiv für öffentliches Recht. XVI. 3. 31