Das völkerrechtliche Rechtsverhältnis.
Ein Beitrag zur Konstruktion des Völkerrechts.
Von
Dr. LEO ÜHALLANDES, Privatdozent in St. Petersburg.
I.
Das direkte und unmittelbare Leugnen des Völkerrechts
scheint neuerdings aus der Mode gekommen zu sein.
Jetzt zweifelt wohl kaum jemand, dass es thatsächlich ein
Völkerrecht giebt, welches sich als ein Komplex von Rechts-
normen darstellt, die die gegenseitigen Beziehungen der Staaten
regeln, und dass dasselbe auch den Charakter eines positiven Rechts
trägt. Die Fortschritte der allgemeinen Theorie des Rechts
haben zu der Ueberzeugung geführt, dass Zwang kein notwendiges
Element des Rechtsbegriffs ist, und dass eine Rechtsordnung
möglich sei, die sich weder auf den Richter, noch auf den Schutz-
mann stützt und auch nicht als das Produkt eines speziellen
rechtschaffenden Organs — des Gesetzgebers — erscheint. Dieser
Sieg konnte nur ad maiorem gloriam iuris gentium dienen: an-
statt einen fruchtlosen Kampf mit dem Heer der „Leugner“ zu
führen, konnten die Theoretiker des Völkerrechts ihre Kräfte
einer tieferen Analyse seiner Grundlagen und leitenden Prinzipien
widmen,
Unter dem Einflusse der formell-konstruktiven Richtung im
öffentlichen Recht, die sich eine herrschende Stellung errungen