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scheinlich dieser Unterschied auch ist, wird er doch von vielen
Schriftstellern konsequent ignoriert. So z. B. ruft LAURENT
in seinem „Droit civil international“ pathetisch aus: „Il serait
absurde, que la Belgique put acquerir une province par un traite
et que l’Etat Belge ne put acquerir & Paris un hötel pour son
ambassadeur“ ?®, und A. Weıss°® ist mit diesem Ausspruch voll-
kommen einverstanden. Ebenso scheint auch FERAUD-GIRAUD
der Ansicht zu sein, dass ein Staat als „personne politique“ un-
bewegliches Eigentum in den Grenzen eines andern Staates be-
sitzen kann’?!,
Um den fundamentalen und prinzipiellen Unterschied dieser
beiden Erwerbsarten klarzulegen, ist es nötig, wenn auch nur
in kurzen Zügen, auf die rechtliche Natur der Gebietshoheit
und den Mechanismus der Staatserweiterungen hinzuweisen. Der
moderne Begriff der Gebietshoheit (souverainet& territoriale) unter-
scheidet sich in vielem von dem mittelalterlichen. Wie bekannt,
trug der Feudalstaat einen patrimonialen Charakter. Die Landes-
herren sahen sich als die Eigentümer der Besitzungen an, über
die sich ihre Macht erstreckte, wobei die letzte als ihr privates,
der Entäusserung von seiten des Besitzers unterliegendes Recht
gedacht wurde. Indem sie zu einander in Beziehungen traten,
verfuhren sie mit ihren Besitzungen wie Eigentümer mit ihren
Sachen, erwarben und veräusserten dieselben nach dem Schema
des privaten römischen Rechts. In Deutschland erhielt sich diese
patrimonialprivate Ordnung sehr lange; sogar am Ende des
18. Jahrhunderts konnte BIENER mit vollem Recht behaupten,
dass „Germania tota regitur iure patrimoniali et herili“°?,
» 4. IV p. 251.
®© A. Weiss, A. Laie, Consultations pour le gouvernement royal
Hellönique sur l’affaire Zappa 1893 p. IX.
sı Feraun-GiRrAup, Etats et souyerains etc. devant les tribunaux etrangers
1895 t. I p. dl.
” De natura et indole dominii 1780 p. 40. Vgl. Huco PrEUSS, Ge-
meinde, Staat, Reich 1889 S. 327.