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gordischen Knotens mit der nöthigen „Schneidigkeit“ gelöst werden könnten.
Diese billige Staatsweisheit kann aus der eingehenden rechtshistorischen und
dogmatischen, gewissenhaften Darstellung von HERRNRITT’S die ganze Tragweite
der Grundfrage kennen lernen und ihre engste Verkettung und Verknüpfung
mit der gesammten Rechtsordnung der alten habsburgischen Monarchie.
Verf. geht auf die juristisch schwierigsten Seiten der Frage ein bei Prüfung
der persönlichen und territorialen Voraussetzungen bei Verwirklichung des
individuellen Auslebens im nationalen Idiom, er sucht mit Aufgebot grossen
Scharfsinns die feinen Grenzlinien festzulegen zwischen den Begriffen der
Stammessprache, Muttersprache, Landessprache und der „landesüblichen*
Sprache, und zeigt uns die Einwirkung dieser verschiedenen Rechtsfiguren
auf die Gestaltung des öffentlichen Lebens, ihre administrative Berücksich-
tigung im System der Staats- und der autonomen Selbstverwaltung. Ueber-
raschend wird dem Fernerstehenden die Thatsache erscheinen, dass der im
Rechtsleben sonst so kräftigen Potenz des Herkommens, der Observanz im
österreichischen Sprachenrecht eine so relativgeringe Bedeutung, insbesondere
zu Gunsten der deutschen Amts- und „Staatssprache“, zukommt. Man wird
aber auch hier sich an der Hand der abgeklärten rein sachlichen Ausführungen
des kundigen Verf. mit der durch die doktrinäre Gesetzgebung der sechziger
Jahre geschaffenen Rechtslage zufrieden geben müssen und mit ihm annehmen,
dass für die vorherrschende Stellung der deutschen Sprache nur dort gleich-
sam die rechtliche Vermuthung streitet, wo besondere durchbrechende oder
aufhebende Bestimmungen des Reichs- und Landesrechts nicht vorliegen.
Angesichts der vom Verf. ausführlich nachgewiesenen Unsicherheit der
Kompetenzgrenzen zwischen der gesetzgebenden und der Verordnungsgewalt
auf dem Gebiete des Sprachenrechts wird wohl auch in dem Punkte dem
Verf. zuzustimmen sein, dass sich auf dem Boden der jetzt geltenden
Reichsverfassung eine befriedigende Lösung des Sprachenkonflikts durch
„gesetzliche Regelung“ nicht erzielen lassen kann. Diesen todten Punkt im
System des österreichischen Verwaltungssystems an der Hand einer partei-
losen Darstellung wissenschaftlich festgestellt zu haben, ist ein anerkennens-
werthes Verdienst des Verf., der sich schon in seinem „Oesterreichischen
Stiftungsrecht“ (Wien 1896, Manz) als gründlicher Kenner der österreichischen
Verwaltungsgeschichte erwiesen und seine Stellung in der fachlichen Literatur
befestigt hat. Stoerk,