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verwendeten Begriffe des Organismus nicht enthalten, dass die
Entstehung menschlicher Verbände auf natürliche Ursache zu-
rückzuführen sei®. Die Entstehungsursache ist überhaupt nicht
Merkmal des Begriffes des Organismus.
Wenn wir also die Auffassung der sog. Organologen ab-
weisen, so ist doch andererseits der Behauptung nicht beizu-
stimmen, als ob der Organismus menschlicher Verbände ein gut-
oder schlechtgewähltes Bild, eine blosse Analogie sei. Der Or-
ganismus der menschlichen Verbände ist vielmehr etwas Seiendes
in dem Sinne, dass die Vorstellungen einer Menschenmehrheit,
sowie bestimmter Thatsachen und Geschehnisse durch eine ge-
gebene und notwendige Denkform, die wir als diejenige des Or-
ganismus bezeichnen, zur einheitlichen Gestaltung gelangen. Der
Organismus der menschlichen Verbände existiert im gleichen
Sinne wie das Verhältnis von Menschen.
GIERKE zeigt sich noch ein gewisses Schwanken. Wohl behauptet auch er,
„dass dasselbe natürliche Entwicklungsgesetz, welches den Organismus der
Einzelwesen bis zur Hervorbringung des Menschen gesteigert und vervoll-
kommt hat, jenseits dieser Grenzen den Organismus des menschlichen Ge-
meinlebens zeugt und gestaltet“; aber er verwahrt sich doch ausdrücklich
dagegen, den naturwissenschaftlichen Begriff des Organismus auf den Staat
anzuwenden. Für Preuss aber ist der Staat bereits unterschiedslos „ein
Glied in der ungeheuren Kette der Organismen“, und wenn er auch mit Be-
rufung auf GIERKE die Anknüpfung des organischen Staatsgedankens an das
Protoplasma zurückzuweisen erklärt, so bekämpft er doch, wie sich an anderer
Stelle zeigt, nur dessen äusserliche Anknüpfung an die Lehre von den natür-
lichen Organismen.
5 Der Verband bezw. der Staat „ist nicht das Erzeugnis einer Natur-
gewalt, wie etwa eine Pflanze, kraft physischer Gesetze“, allein er ist auch
„nichts willkürlich Gemachtes“ (Seyper, Staatslehre S. 1). Immerhin hat die
organische Theorie gegenüber der Theorie, dass der Staat eine menschliche
Erfindung sei wie die Brandkassen (SchLözEr, Allgemeines Staatsrecht), das
Verdienst, die natürlichen Ursachen der Entstehung menschlicher Verbände
betont zu haben, natürlich in dem Sinne, „dass sie nicht der Willkür und
dem Zufalle entstammen, sondern der mächtig wirkenden Ursache der in den
wesentlichen Punkten gleichen Anschauungen, gleichen Zwecken, des
gleichen Lebensinhaltes einer Individuums-Vielheit* (Lines, Empirische
Untersuchungen S. 36).
Archiv für Öffentliches Recht. XVII. 1. 7