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Die Denkform des Organismus ist wie diejenige des Ver-
hältnisses eine allgemeine, nicht eine speziell vom Recht ge-
schaffene..e Nehmen wir den Fall: Infolge ausserordentlicher
Wassernot sind Menschenleben in Gefahr, die Nachbarn eilen
zur Rettung herbei; rasch haben sich letztere geeinigt zu dem
Rettungswerke. Ein erfahrener, willenskräftiger Mann stellt sich
an die Spitze oder wird an die Spitze gestellt. Der einheitliche
Wille dieses Mannes leitet und ordnet alles. Die Aufgaben sind
zwar verteilt, aber alles steht unter diesem dirigierenden Willen.
Dieser letztere durchströmt alle beim Rettungswerke Beteiligte,
teils direkt, teils indirekt dadurch, dass noch andere, untere
Leiter bestimmt sind, die aber alle unter der Leitung des ein-
heitlichen Willens stehen. Alles arbeitet geschlossen zu dem
Zwecke der Rettung. Diese Erscheinung kommt in einer be-
stimmten Form zum Bewusstsein, nämlich in derjenigen des Or-
ganismus. Charakteristisch bei dem Organismus ist die Ueberord-
nung, die sich in einem massgebenden Willen gipfelt, und die
Unterordnung, die sich in der Unterwerfung unter diesen Willen
zeigt. Die Differenzierung, die in der Ueber- und Unterordnung
zu Tage tritt, treffen wir zwar auch in der Gesellschaft. Denken
wir an die Autorität, welche auf dem Gebiete der Politik, Mode,
Kunst und Wissenschaft aufzutreten vermag und ebenfalls eine
Differenzierung in Ueber- und Unterordnung bewirkt. Wir
sprechen aber hier nicht von einem Organismus, weil sich die
Ueber- und Unterordnung nicht als regelmässig und geschlossen
zeigt. Nehmen wir ferner den Fall: An einer belebten Passage
ist ein Polizist aufgestellt, der die Ordnung aufrecht erhält. Wir
haben hier eine Ueber- und Unterordnung, allein keine Erschei-
nung des Organismus, die Unterworfenen wechseln stets, kommen
und gehen; es fehlt das Verhältnis des Unterworfenen zum Ueber-
geordneten. Charakteristisch ist dem Organismus also nicht nur
die Ueber- und Unterordnung, sondern es sind auch die Be-
ziehungen der Untergeordneten zu einander und zu den Ueber-