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ist nichts äusserlich Wahrnehmbares. Man sieht etwa uniformierte
Personen, Herren am grünen Tische, man hört Debatten in grossen
Sälen, man bemerkt, dass etwa ein Uebelthäter aufgeknüpft wird
u.s.w. Das alles sieht und hört man; was aber unter Herr-
schaft zu verstehen ist, legt man sich erst im Denken zurecht.
Gleich wie mit dem Begriffe der Herrschaft verhält es sich auch
mit dem Begriffe der Macht und Gewalt. Die Macht und Ge-
walt, die den Organen im Staate zukommt, ist bloss ungenaue
Bezeichnung der Ueberordnung von Organen mit massgebendem
Willen. Die Begriffe Macht und Gewalt sind deshalb unver-
wendbar für das Staatsrecht, zumal beide Ausdrücke nach dem
Sprachgebrauch mehr zur Bezeichnung der rohen, sinnlich wahr-
nehmbaren Kraft herangezogen werden. Mit Macht und Gewalt
bezeichnet man auch die Gründe, warum gewisse Organe im
Staate einen massgebenden Willen besitzen. Man sagt, der Wille
dieses oder jenes Organes ist Vorschrift, weil dasselbe die Macht
oder Gewalt dazu habe. Damit ist aber das Massgebende des
Organwillens nicht erklärt, sondern bloss umschrieben. Der Wille
des Organes wirkt allerdings kausal, und die Frage ist die, ob
die Wirkung des Willens deshalb eintritt, weil ein machtvoller
Einfluss vom Organe ausgeht, oder ob diese Wirkung bloss dem
Umstande zuzuschreiben ist, dass diejenigen, an welche der Wille
gerichtet ist, sich unterwerfen. Die Macht kann also in Eigen-
schaften des sog. Machtinhabers liegen, oder sie kann sich da-
durch erklären, dass die Unterworfenen sich unterordnen. Das
letztere ist beim Rechtsorganismus der Fall, indem sich die un-
teren Organe dem Willen der oberen Organe beugen; die Macht
der letzteren ist also nur eine Reflexerscheinung. Gewaltanwen-
dung kann die Thätigkeit eines Organes als Ausfluss der diesem
Organe (z. B. dem Polizeiorgane) zustehenden Befugnis oder
Obliegenheit sein, aber auch dann ist Gewalt kein Rechtsbegriff,
so wenig es die Schmiedearbeit ist, welche jemand gemäss einem
Arbeitsvertrag vorzunehmen hat.