Full text: Archiv für öffentliches Recht.Siebzehnter Band. (17)

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Gerichten auch die Befugnis selbständiger Prüfung der Rechts- 
gültigkeit der von ihnen zur Anwendung zu bringenden Gesetze 
und Verordnungen zugestanden bezw. ihre desfallsige Verpflich- 
tung anerkannt werden muss, in dem Sinne, dass sie selbständig 
darüber zu entscheiden haben, nicht bloss ob die formellen Er- 
fordernisse der Publikation erfüllt sind, sondern auch, ob das 
sich so bezeichnende „Gesetz“ verfassungsmässig, d. h. unter 
Mitwirkung der verfassungsmässig notwendigen Organe, sowie 
unter Beobachtung der verfassungsmässigen Formen zu stande 
gekommen, und ob die in Frage stehende „Verordnung“ gesetz- 
mässig, d. h. von den hierzu kompetenten Organen und inhalt- 
lich in Uebereinstimmung mit den bestehenden Gesetzen erlassen, 
ebenso ob eine landesrechtliche Vorschrift mit dem Reichsrecht 
in Einklang sich befindet oder demselben widersprechend und 
darum als ungültig zu betrachten ist, während sich das richter- 
liche Prüfungsrecht bezw. die Prüfungspflicht nicht auch auf die 
materielle Verfassungsmässigkeit des, formell gültig erlassenen, 
(Reichs- oder Landes-) Gesetzes und noch weniger auf die Legi- 
timität der thatsächlich bestehenden, gesetzgebenden Gewalt er- 
streckt, indem letzteres eine politische Frage darstellt, dem 
Richter aber die Wahrung der politischen Interessen nicht zu- 
kommt, er vielmehr auf die vorhandene Gesetzgebung ver- 
wiesen ist*, 
bindliches Gesetz angesehen werden soll, eine Bestimmung, aus welcher etwas 
für die Beantwortung der Frage nach der Befugnis und der Verpflichtung 
der Gerichte zur Prüfung der Erfordernisse eines gültigen Gesetzes ent- 
nommen werden könnte, weder darstellt, noch auch nur zu geben beabsich- 
tigt hat, zumal jene ministerielle Bekanntmachung noch in der Zeit vor 
Erlass der Verfassung ergangen ist. 
* In der von jeher ungemein streitigen Frage nach dem sog. richter- 
lichen Prüfungsrecht der Verfassungsmässigkeit und der sonstigen Erforder- 
nisse für das Zustandekommen eines gültigen Gesetzes hat sich die über- 
wiegende Mehrheit der Schriftsteller für deren Bejahung entschieden. Für 
das richterliche Prüfungsrecht vgl. vor allem Gneıst, Verhandlungen des 
vierten deutschen Juristentages 1863, I. Bd. S.212ff., der an der Spitze der
	        
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