— 161 —
Der Rechtsbegriff und seine Anwendung
auf das Völkerrecht.
Eine rechtsphilosophische Untersuchung.
Von
J. PFENNINGER in Zürich.
Einleitung.
Der Zug vom Individuellen zum Sozialen, der durch die
fortschreitende Entwicklung der menschlichen Gesellschaft geht,
hebt sich auch besonders deutlich in der Geschichte des Rechts
ab. Immer mehr ist mit der Zeit das Recht aus dem Recht des
Individuums das- Recht der Gesellschaft geworden. Diese stille
Wandlung der Rechtsanschauung wird in der Wissenschaft be-
gleitet von dem Entstehen eines, wenn auch nicht immer klar
erkannten, dennoch tiefen Gegensatzes zwischen der älteren, mehr
spekulativen Richtung, welche wir einfach als philosophische be-
zeichnen werden, und der empirischen Richtung. Hinter beiden
stehen im Grunde zwei verschiedene Weltanschauungen. Während
die spekulative Richtung, ausgehend vom Begriff des subjektiven
Rechts, die Quelle und das Ziel alles Rechts im Menschen, in
seinem Verstand, in seinem Gewissen und seinem Glücke sucht
und im Altruismus das verbindende Element in der Gesellschaft
erblickt, forscht der skeptische Empiriker nach realen Quellen,
erkennt in der rechtlichen Gewalt das Hauptsymptom des Rechts
und findet im Egoismus die Ursache des menschlichen Handelns
Archiv für öffentliches Recht. XV. 2. 11