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lichkeit unser Willen aus präsenten Ursachen bestimmt wird, er-
scheint uns subjektiv — vom Standpunkt der relativen Willens-
freiheit aus — unser Verhalten als ein freies, nicht bestimmtes,
nur den causae finales möglichst angepasstes. Der Zweck ist
demnach die in der Zukunft gedachte, aus den prä-
senten Ursachen projizierte Endursache, die natürlich
nicht so klar und bestimmt ist, dass sie nicht die Illusion der
Willensfreiheit zuliesse. Nur subjektiv gedacht, scheinbar, giebt
es einen spontanen Willen, nur subjektiv, scheinbar, eine spezi-
fische Willensursache*. Jedenfalls kann der „Zweck“ nicht
schlechthin der „Ursache“ entgegengesetzt werden.
Es ist ja menschlich sehr erklärlich, dass wir die Welt zu-
nächst als etwas Existierendes, Lebendiges, Künftiges und nicht
retrospektiv als Faktum betrachten. In der Zukunft erblicken
wir das Kommende, sie scheint die Gegenwart zu bestimmen.
Die Welt ist für uns erfüllt mit Wille, Zweck und Vorsehung,
nicht bloss den Ursachen als Agens. Die exakte Wissenschaft
hingegen muss sich an das Faktum, das immer das Moment der
Vergangenheit in sich trägt, halten, sie muss alles Subjektive ab-
streifen. Deswegen möchte wohl IHering’s Methode von vorn-
herein keine exakte sein. Und doch vermag sie indirekt vielleicht
zum Ziele zu führen.
Da nämlich der Zweck stets aus dem praktischen Leben er-
hellt und da aus dem Zweck auf den entsprechenden Willen ge-
schlossen wird, so ist eine vorsichtige Kritik der Zwecke zugleich
eine induktive Willenstheorie. Wenn mir ein Räuber gewaltsam
die Uhr entreisst, liegt in dieser Preisgabe für mich kein Zweck,
ich handle nicht, nur jener. Gebe ich die Uhr auf Drohung hin,
so habe ich den Zweck, das Leben, oder, wenn ich den Kampf
aufnehme, wenigstens die Ehre zu retten. Wo ein Zweck, ist
also ein Wille und alles Handeln geschieht um Zweckes willen.
+2 Dazu kommt, dass im praktischen Leben der Wille durchaus nicht
als lediglich vom Zweck bestimmt angesehen wird.