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kriterium ist vielmehr der jeweilige besondere Anspruch, zu gelten.
So entsteht die Alternative der Zwangsregel gegenüber der nur
hypothetisch geltenden Norm. Das Recht ist die ihrem
Sinne nach unverletzbar geltende Zwangsregelung
menschlichen Zusammenlebens. Das Recht will nämlich
formal als Zwangsgebot über dem Einzelnen stehen, während die
Konventionalregel ihrem Sinne gemäss lediglich infolge der —
vielleicht konkludenten — Einwilligung des ihr Unterstellten gilt,
und will unverletzbar insofern sein, als „die Norm erst selbst
beseitigt werden muss, ehe ihrem Sinne zuwidergehandelt werden
darf.“
STAMMLER übersieht die Unmöglichkeit eines zweiseitigen Be-
fehls, er übersieht, dass hinter dem formalen Rechtswillen sich
ein realer Wille birgt und die Quelle des Willens nicht wirklich
im „Rechte“ selbst gesucht werden darf, er verkennt endlich die
Relativität von Recht und Moral. Letztere hat nicht bloss hypo-
thetische Geltung. Allerdings giebt es nicht zweierlei Recht, aber
es giebt auch nicht zweierlei Moral, höchstens verschiedene sub-
jektive moralische Auffassungen, die nur rein hypothetische Gel-
tung besitzen. Immerhin ist der Versuch, das Moment des Staates
aus der Definition des Rechts zu entfernen, anerkennenswert.
Die Konsequenzen der Lehre vom staatlich organisierten
Zwang, vor denen doch IBERING zurückscheute, sind gezogen
worden. So sagt ZoRN®®: Das Recht als Rechtsordnung
gefasst ist ein Komplex von Imperativen, welche der
Staat an seine Unterthanen richtet und mit Zwang
schützt. Es giebt somit nur inneres und äusseres Landes-
recht. Insbesondere ist das sog. Völkerrecht äusseres Staatsrecht.
Ein internationaler Vertrag ist lediglich eine des Rechtsschutzes
entbehrende faktische Verabredung auf Treu nnd Glauben zwischen
den Vertretern zweier oder mehrerer Staaten, ein rechtsunverbind-
55 Zonn, Die deutschen Staatsverträge. Zeitschrift für die gesamten
Staatswissenschaften, Tübingen 1880, 8. 6.