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Das menschliche Handeln ist in erster Linie praktisch, d.h.
nicht vom Rechtswillen geleitet, obschon das faktische sich mit
dem rechtlichen Verhalten decken mag. Ob für eine Handlung
ein anderer als der Rechtszwang primär bestimmend wirkte, ist
gleichgültig, wenn nur der Erfolg anerkennbar war. Es ist so-
mit nicht darauf abzustellen, dass die Nötigung zu einer be-
stimmten Handlung staatlicher Zwang war, um die Rechtlichkeit
derselben zu begründen, es ist nicht einzusehen, warum das
Recht nicht auch auf den „nicht organisierten“, den
wirtschaftlichen Zwang sollte rechnen können. Um-
gekehrt ergiebt sich, dass das Recht eine wirtschaftliche
Funktion ist.
Auch die Sitte und Moral wirken als gesellschaftliche Ge-
walten und müssen bei der Begründung des Rechts mitberück-
sichtigt werden. Obschon so die rechtlichen Handlungen auch
ihre sittliche, moralische Seite erhalten, sind doch lediglich sitt-
liche, moralische, noch keine rechtlichen Akte, noch ein recht-
licher Akt ein rein sittlicher oder moralischer. Die Relativität
der Begriffe Moral, Sitte, Wirtschaft und Recht bringt es mit
sich, dass die wirtschaftliche Handlung auch sittlich und mora-
lisch ist; das trennende Moment der Relevanz bewirkt, dass
nicht einmal alle wirtschaftlichen Akte rechtliche, wohl aber alle
rechtlichen Akte wirtschaftliche sind. In der Art der Erzwing-
barkeit dieser verschiedenen „Normen“ kann nach dem Bis-
herigen das Kriterium nicht liegen, es ist also im Inhalt der-
selben zu suchen.
Als Verfechter der organischen Theorie ist in unserer Frage
speziell PREUSS®! zu nennen. Nach ihm verhalten sich Rechts-
und Wirtschaftslehre zu einander wie Form und Inhalt. Das
Gesellschaftswissenschaft. Ihre Kriterien sind der Staat und die Gesellschaft,
also besteht nur relative Verschiedenheit.
eı H, Preuss, Das Völkerrecht im Dienste des Wirtschaftslebens, Berlin
1891, 8. 9.