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tiven Methode, der reiche konkrete Hilfsmittel zu Gebote stehen,
Platz machen müssen, obwohl gerade die Rechtswissenschaft eine
eminent philosophische Wissenschaft genannt werden kann. Und
im gleichen Masse hat die natürliche Erklärung die philoso-
phische Begründung des Rechts verdrängt.
Die primitivste Rechtsanschauung, die theokratische, war
eine vorwiegend philosophische. Später wurde das Recht seines
sakralen Charakters entkleidet und die Rechtssetzung eine Präro-
gative der Landesgewalt. So wurde beispielsweise das römische
Recht ein vollständig positives Recht; obwohl rationalistisch über-
aus fein ausgebaut, ist es dennoch nicht rationalistisch begründbar.
Aber der ideale Gehalt des Rechts verflüchtigte sich und die
durch die Positivierung herbeigeführte Erstarrung rief die Reak-
tion hervor, die revolutionären Epochen unserer Geschichte. Die
eine gebar das Völkerrecht, die andere das konstitutionelle Recht,
und jedesmal bezeichnete das philosophische Recht den neuen
Impuls der Entwicklung.
Das Völkerrecht ist in seiner Entstehung mit der des Na-
turrechts verknüpft. Seine Postulate wurden rationalistisch her-
geleitet und ihre Berechtigung in der Uebereinstimmung mit der
Naturnotwendigkeit gefunden; ja man identifizierte sie selbst mit
den natürlichen Gesetzen und erhielt so, da man das positive
Recht doch nicht ohne weiteres aus der Welt schaffen konnte,
zwei konkurrierende verbindliche Rechte, das natürliche und das
durch den menschlichen Willen geschaffene, gewillkürte. Damit
waren die beiden Hauptmomente im Recht, der Naturzwang (un-
freier Wille) und die voluntas (freier Wille), die man später im
Interesse der Einheit des Rechts zu verschmelzen strebte, vor-
läufig noch als Kristallisationspunkte verschiedener, allerdings
kongruenter Rechtsgebiete philosophisch auseinandergehalten. Für
das Völkerrecht ist das Hervortreten des Naturrechts namentlich
deswegen leicht erklärlich, weil für seine positive Gestaltung das
Material selbst beinahe fehlte.