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unter völkerrechtlichem Zwang erfolgt, z. B. auf Grund eines
Staatsvertrages, wird ein Rechtswille adoptiert, der Privatrechts-
satz erhält völkerrechtliche Garantie, aber er ist weder als Landes-
noch als „Völkerrecht“ durch die Anerkennung erzeugt worden.
Die völkerrechtliche Anerkennung ist in Wirklichkeit die formelle
oder thatsächliche Datierung der Relevanz des Völkerrechts-
willens für den Staat, also die Anerkennung eines Neustaates
z. B. in erster Linie die formelle Ermächtigung der Landes-
verwaltung, den betr. Staat de pair zu behandeln.
2. Das Völkergewohnheits- und Vertragsrecht.
Das Gewohnheitsrecht ist ein sehr umstrittener Begriff, auf
dessen dogmatische Geschichte wir jedoch nicht näher eintreten
können. Uns interessiert zunächst das Verhältnis des Gewohn-
heitsrechts zum staatlichen Recht, also die Frage, ob es wirklich
an sich, d. h. auch ohne staatliche Anerkennung, Recht ist.
Gewöhnlich wird ein Unterschied gemacht zwischen Rechts-
sitte oder Rechtsgewohnheit und Gewohnheitsrecht. Die Rechts-
sitte kann von der moralischen und natürlichen Sitte (HOLTZEN-
DORFF) nur durch die Materie, die sie regelt, verschieden sein,
also die Rechtsmaterie. Letztere kann mit dem Ausdruck
„öffentliche Ordnung“ nicht vollständig und scharf umschrieben
werden, ihr Umfang ist bloss annähernd durch das positive, ins-
besondere staatliche Recht bezeichnet. Es ist ohne weiteres
einleuchtend, dass Rechtssitte Gewohnheitsrecht wird, sobald sie
regelmässig nicht allein durch die sittlich-soziale, sondern auch
durch die jurisdiktionelle Gewalt des Staates garantiert wird.
Das schliesst keineswegs aus, dass das Gewohnheitsrecht auch
ohne diese Anerkennung existiere. Nach der herrschenden An-
sicht ist das Gewohnheitsrecht dasjenige Recht, welches,
ohne vom Staat gesetzt zu sein, thatsächlich geübt
wird (WINDSCHEID).
e® WinpscHhew, Pandekten, Frankfurt 1900, S 15.