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Wille. Das rein formale Element tritt im Völkerrecht ja all-
gemein zurück.
Daraus ergiebt sich die Doppelstellung des Staatsoberhauptes
und erklärt sich die Differenz zwischen seiner völkerrechtlichen
und seiner staatsrechtlichen Legitimation zu Willenserklärungen.
Verträge des Oberstaates werden in der Regel den Unterstaat
nicht ohne dessen formelle Genehmigung verbinden und um-
gekehrt; es ist sehr unwahrscheinlich, dass der eine Staat für
sich allein legitimiert sei. Bei konstitutionellen Staaten wird als
äussere Legitimation Gegen- oder Kollektivzeichnung zu ver-
langen sein. Stimmt diese, so ist die Ratifikation auch ohne
parlamentarische Zustimmung gültig in Ländern, wo verfassungs-
gemäss die Ratifikation ohne sie stattfinden kann. Ermöglicht
es aber ein schlechte Redaktion der Verfassungsbestimmungen,
dass eine Ratifikation ohne oder selbst gegen die notwendige
Zustimmung der Volksvertretung zu stande kommt, so ist ein
auch nach innen gültiger Vertrag entstanden, der event. gekündigt
werden muss. Jedenfalls ist eine begriffliche Trennung der
völkerrechtlichen Verbindlichkeit eines Vertrages und seiner
staatsrechtlichen Vollziehbarkeit (GNwEIsT-LABAanD’sche Theorie)
unmöglich.
8. Die Positivität des Völkerrechts.
Solange die Lehre vom absolut souveränen Staat
und einzigen Völkerrechtssubjekte festgehalten wird, ist
die Konstruktion eines den Staaten überlegenen Rechts-
willens nicht möglich.
Die Naturrechtslehrer und später die Rationalisten der Auf-
klärung gingen vom Individuum als dem Grundelement aller
rechtlichen Kommunalgebilde aus und analysierten den Staat als
Vereinigung aller willensfähigen Individuen. In verallgemeinernder
Betrachtung konstruierten sie das Völkerrecht dem Staatsrecht
analog, indem sie es auf dem Konsens der Staaten beruhen liessen.
Dabei vergassen sie nicht, wie dem Staat so nun auch der