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Völkerrechtsgemeinschaft Persönlichkeit und damit Organisation
zuzuschreiben. Diese Auffassung giebt sich am ausgeprägtesten
in WouLr'’s civitas maxima kund.
Die reaktionäre historische Schule verliess den rationalisti-
schen Boden und verlegte sich — bereits ein anerkennenswerter
Versuch einer induktiven Methode — auf das Studium der realen
Quellen. Unwillkürlich vernachlässigte sie dabei die Keime der
Willenstheorie und klammerte sich allein an das Prinzip der Ord-
nung im Recht. Als Erbin der Naturrechtslehre suchte sie zu-
gleich noch immer die Begriffe von subjektivem Recht und Pflicht,
vom allgemeinen Rechtsbewusstsein u. s. w. zu verwerten. Da
ihr die realen Kriterien einer civitas maxima nicht erfindbar
waren, umsoweniger als der Grundsatz der schrankenlosen staat-
lichen Souveränität die Zeit und die Rechtslehre beherrschte,
blieb namentlich das Völkerrecht doch ein mehr auf philosophi-
schen Grundlagen beruhendes Recht. Infolge der kritiklosen
Gleichstellung aller Quellen, aus denen überhaupt die Rechts-
idee hervorging, wurde aber die wahre Einheit des Rechts zer-
stört. Während beim Völkergewohnheitsrecht der Verpflichtungs-
grund begreiflicherweise erst sekundär in der staatlichen Zwangs-
gewalt gesucht wurde und die Annahme einer rein philosophi-
schen Begründung der Verpflichtung berechtigt schien, wurden
beim Vertrage, als Völkerrechtsquelle, da die praktischen, posi-
tiven Verpflichtungsgründe stärker hervortraten, die philosophi-
schen Momente eher beiseite gesetzt. Ein Versuch, die ver-
schiedenen Quellen auf eine gemeinsame Grundlage zu reduzieren,
bestand darin, dass man aus ihnen als das Gemeinsame und
Wesentliche die abstrakte Norm auszuscheiden trachtete. Aber
nicht allein führt dies konsequenterweise dazu, ausser Gewohn-
heit und Vertrag die opinio doctorum u. s. w. als gleich-
berechtigte Quelle gelten zu lassen und damit die schon früher
erhaltene engere positive Umgrenzung des Völkerrechts wieder
preiszugeben, die Normtheorie kann, wie wir gezeigt, die Frage