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der Rechtsverbindlichkeit auch nicht befriedigend lösen. Die
Einheit des Rechts vermag nur die ausgebildete positive Willens-
theorie zu wahren, die Normtheorie aber ist eine verfälschte
Willenstheorie.
Einen immerhin namhaften Versuch einer Konstruktion des
Völkerrechts auf Grund der Norm-Willenstheorie machte JELLI-
NER. Er geht von der mit den Theorien vom Gesellschaftsvertrag
und vom Vernunftzwang verwandten Hypothese aus?’?; Recht
entsteht durch die gegenseitige Anerkennung der
respektiven Willen durch vernünftige Individuen. Diese
Anerkennung ist als Selbstbeschränkung, nicht etwa als Unter-
werfung unter fremden Willen oder Zustimmung zu verstehen.
Abgesehen von der Unrichtigkeit aller Selbstverpflichtungstheo-
rien haben wir bereits früher die logische Unmöglichkeit einer
Rechtsschöpfung durch gegenseitige Anerkennung gleichwertiger
Willen nachgewiesen. Ein derartiges Verhältnis ist ein bloss
thatsächliches, vielleicht regelmässiges, wenn es durch gleiche
natürliche Ursachen induziert ist. Wenn mir B Geld giebt und
ich gebe ihm ein Gut zurück, weil wir des einen benötigen, auf
das andere aber verzichten wollen, so beschränken wir scheinbar
unsere Willen entsprechend — wir könnten nämlich auch anders
wollen —, wir anerkennen unser gegenseitiges Verhalten; ein
rechtliches Verhältnis ist jedoch nicht zu stande gekommen,
denn nichts hindert rechtlich beide, unsere Willen einseitig zu
ändern.
JELLINEK hat offenbar bloss das Verhältnis zwischen dem
Individuum „Staat“ und dem „Individuum schlechthin® vor
Augen, wobei allerdings der Wille des Staates das Individuum
durch Anerkennung zum Rechtssubjekt erheben kann. Aber
gewiss ist das Umgekehrte nicht der Fall, Jedes Rechtsverhält-
nis setzt einen konstanten, überlegenen Leitwillen gegenüber
"2 JELLINER, Staatsverträge S. 48 ff.
Archiv für Öffentliches Recht. XV. 2. 22