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nahe. IHERING betont entschieden die Existenz des Völkerrechts
als eines autoritären, über den Staaten stehenden Rechts und be-
hilft sich an Stelle des fehlenden „organisierten Zwanges“, wo
es Not thut, mit einem Surrogat desselben: der faktischen Ge-
walt, dem Krieg. Er kennt selbst zentrale völkerrechtliche Or-
gane, wie z. B. Kongresse. Als Normtheoretiker achtet er aber
des engen begrifflichen Zusammenhangs von Wille und Gewalt
nicht, sondern sucht Norm und Organisation als selbständige
Begriffe auseinanderzuhalten. Mit JELLINEK stimmt er soweit
überein, als ihm ebenfalls das gemeinsame Agens, das eo ipso
überall zu gleichartigem Völkerrecht führt, die thatsächlichen
Verhältnisse und Kulturantriebe sind, aber sie sind ihm keine
„blosse Ideen, Imponderabilien, deren nur die Philosophie zur
Erklärung bedarf, sondern reale Mächte, welche die Entwick-
lung des Völkerrechts bewirken und den Staat auf eine gewisse
Linie drängen, die er nicht nach Willkür verlassen kann“,
Der den erwähnten Theorien innewohnenden Bestrebung,
das Völkerrecht durch seine Beziehungen zur „Natur“ zu cha-
rakterisieren, kann in richtiger Weise nur die Betrachtung der
wirtschaftlichen Seite des Völkerrechts Rechnung tragen. Die
Geschichte zeigt deutlich die nahe Zusammengehörigkeit und die
gleichlaufende Entwicklung von Wirtschaft und Recht. So sehen
wir in der Zeit, da der Städter neben dem Ritter sich empor-
ringt und die feudale Naturwirtschaft durch die Geldwirtschaft
verdrängt wird, auch Städterechte mehr und mehr allgemeines
Recht werden und das Landrecht, ursprünglich eine reine
Friedensordnung, durch Aufnahme des Verkehrsschutzes sich
in das moderne staatliche Recht verwandeln. Andererseits ist
das lebhafte Emporblühen des ausländischen Handels, das die
neue Zeit inaugurierte, mit der Entstehung des Völkerrechts
verknüpft. Und heute, wo die internationalen Bande sich stets
festigen, empfängt wie die grosse Politik, so das Völkerrecht,
die Impulse aus dem Kampf um die Handelssuprematie.