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B. Das Individualrecht.
1. Das subjektive öffentliche Recht.
Nachdem wir bisanhin das objektive Recht als Gemeinwillen
und die Vereinbarenden als das natürliche Substrat desselben
aufgefasst haberi, handelt es sich jetzt darum, die Beziehungen
der Vereinbarenden zum Willenssubjekt der Vereinbarung zu
untersuchen, vorerst für das staatliche Recht, das die meisten
Anhaltspunkte gewährt.
Das Substrat des staatlichen Rechts sind die Staatsunter-
thanen (die Ausnahmestellung des Staatsoberhauptes ist nach
dem Folgenden keine durchgreifende). Ein geschichtlicher Rück-
blick zeigt uns, dass allerorts das Recht auf Vereinbarungen von
Körperschaften von Freien zurückgeht. Der Prototyp des
Rechtsstaates ist die Demokratie, die Despotie erzeugt
an sich keine rechtliche Entwicklung ohne Aufnahme
demokratischer Elemente. Damit soll nicht etwa geleugnet
werden, dass die historische Entwicklung der Staaten oft von
der Despotie ausgegangen ist. Allein es ist zu beachten, dass
z. B. bei den asiatischen Despotien das private Recht gar nicht
„despotisches“, sondern Gewohnheitsrecht ist; soweit es aber
öffentliches und „despotisches“ ist, es gerade die Schwäche dieser
Staaten bedingt, die sich nach innen in der Rechtsunsicherheit,
nach aussen in der mangelnden Allianz- und Vertragsfähigkeit
äussert.
Es sind nur verschiedene Stufen in der Entwicklung der-
selben sozialen Erscheinung, doch keine wesentliche Verschieden-
heiten, wenn die Freien ihre Angehörigen, also Familie und Hörige,
vertreten, wenn im Verlauf der Vergesellschaftung und in Aus-
dehnung der Vertretung nur Delegierte der Freien zusammen-
treten, oder wenn die Delegierten nach Instruktion oder freiem
Ermessen votieren. Die Komplikation der Staatswillensbildung
liegt darin, dass die Masse der Individuen ihren Willen regel-