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ein allgemeines Weltrecht? Es müsste noch weniger vollkommen
sein, aber es liesse sich denken. Die ewigen, unverrückbaren
Regeln, die den Verkehr der Menschen bestimmen, wären natür-
liches Recht, dessen Grundsätze aus der Natur der Sache, d.h.
aus den besonderen Beziehungen, sich ergeben, die zwischen den
Völkern von verschiedenen Kulturstufen bestehen. Worauf be-
ruhte aber die verbindliche Kraft des subsidiär geltenden Natur-
rechts? Auf der Natur? Auf einer göttlichen Weltordnung?
Höchstens auf dem Gefühl der Rechtsgemeinschaft; es wäre die
Quintessenz unseres Rechtsgefühls, oder vielmehr unserer Moral.
Ist aber, entgegnen wir, wirklich die Kulturgemeinschaft eine
positive Grundlage? Sind nicht Handels- und Verkehrsinteressen,
denn um mehr kann und soll es sich nicht handeln, ebensowenig
Verbindlichkeitsgründe, wie die Ueberzeugung, das Gewissen?
Wenn das Recht im allgemeinen nicht ausschliesslich staatliches
Recht zu sein braucht, wenn anerkanntermassen das Gewohnheits-
recht ein Recht der Gesellschaft ist, wie sollte da das Völker-
recht, das in seinen Fundamenten nur Gewohnheitsrecht sein
kann, auf jene durch die engere Staatengemeinschaft bezeichnete
menschliche Gesellschaft beschränkt sein? Gewiss müssen wir
ein bloss philosophisch verbindliches Recht verwerfen, allen den
tieferen Gedanken des Naturrechts können wir retten. Vielfach
stellen selbst diejenigen Autoren, denen die Staaten die alleinigen
völkerrechtlichen Subjekte sind, dennoch das Völkerrecht auf die
gesellschaftliche Basis.
MARTENS äussert sich z. B. folgendermassen: Die Menschen,
welche einen konkreten Staat oder ein konkretes Volk bilden,
stehen untereinander nicht bloss in bestimmten staatsrechtlichen
Beziehungen, welche durch die zwingende Macht der Staatsgewalt
gewahrt werden. Zu gleicher Zeit entstehen und bestehen unter
ihnen oft unabhängig vom Staate enge Beziehungen, die in den
gemeinsamen geistigen und materiellen Interessen ihren Ursprung
haben. Die Gemeinsamkeit der sozialen Elemente, oder die Ge-