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sellschaft ist es, worauf sich die internationale Gemeinschaft und
die innere Verwandtschaft der Völker gründet. Je mehr zwischen
gegebenen Völkern Solidarität der gesellschaftlichen Interessen
und Bestrebungen, desto intensiver ist die Gemeinsamkeit der
ihnen eigentümlichen Interessen. Bei den politisch- und religiös-
despotischen asiatischen Staaten ist das Bewusstsein der Inter-
essengemeinschaft noch nicht erwacht. Sie können sich jedoch
auf die Dauer dem nivellierenden Einfluss des Handels und des
Verkehrs nicht entziehen. Auch müssen?” gewisse unerlässliche
Prinzipien für den internationalen Verkehr zwischen zivilisierten
und nichtzivilisierten Völkern anerkannt werden, Prinzipien, die
sich aus der Natur der Sache ergeben: Naturrecht.
Noch liberaler ist PHıLLıimorE°®: Die erste wichtige Folge
des Einflusses des natürlichen Rechts auf das internationale
Recht ist, dass letzteres in seiner Anwendung nicht auf den
Verkehr der christlichen, noch weniger der europäischen Nationen
beschränkt ist, wenn es auch in allgemeinerer und weniger voll-
kommener Form erscheint. Wann immer eine Gemeinschaft mit
einer anderen in Berührung kommt, bevor Sitte und Gewohnheit
sich zum Qluasikontrakt entwickelt haben und bevor ein posi-
tives Vertragsrecht entstanden ist, beherrscht das Recht ihren
Verkehr. Ä
Interessant ist auch, wie FALLATı®° die Völkerrechtsgemein-
schaft der Gesellschaft gegenüber stellt. In der Familie wie
in der bürgerlichen Gesellschaft findet er Vorbildungen staat-
licher Einheit, allein sie können in der ersteren wegen der zu
einseitig natürlichen, in der letzteren wegen der allzu subjektiven
9 F, Martens, La Russe et l’Angleterre dans l’Asie centrale. Revue
de droit int. et 1. c. 1879, p. 14.
%8 PHILLIMORE, Üommentaries upon international law, London 1871,
8 XXVII.
® Farzarı, Die Genesis der Völkergesellschaft. Ztschr. f. d. ges. Staats-
wissenschaft, Tübingen 1844, S. 567.