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dazu da, um akademisch Rechtsgedanken zu diskutieren, sondern sie beraten,
Vorlagen, die dazu bestimmt sind, Gesetz zu werden, und, dessen bewusst,
fassen sie ihre Beschlüsse so, dass sie deren Annahme seitens der Krone
erhoffen und ihre Ablehnung bedauern müssten.“ Abgesehen davon, dass
Hoffen und Bedauern keine staatsrechtlichen Funktionen, sondern mensch-
liche Empfindungen sind, deren die Kammern als solche niemals, sondern
nur die einzelnen Mitglieder fähig sind, und dass sehr oft zahlreiche Mit-
glieder, welche gegen das Gesetz gestimmt haben, die Ablehnung des Kammer-
beschlusses erhoffen und die Zustimmung der Krone bedauern, so hat die
ganze Erwägung gar nichts mit der Unterscheidung von Gesetzesinhalt und
Geesetzesbefehl zu thun. Die Beratung und Beschlussfassung der Volks-
vertretung unterscheidet sich dadurch von einer „akademischen Diskussion
von Rechtsgedanken“*, dass sie verfassungsmässig zur unerlässlichen Vor-
bedingung der landesherrlichen Sanktion gemacht ist und dass demgemäss
die Beschlussfassung des Parlaments in der Tendenz geschieht, dass der
Entwurf Gesetz werden kann oder soll. Mit anderen Worten: Die Fest-
stellung des Gesetzesinhalts seitens der Volksvertretung hat eine staats-
rechtliche Bedeutung, während der Aufstellung eines Gesetzentwurfs durch
Vereine, Behörden, Gelehrte u. s. w. eine solche nicht zukommt. Aber
niemals reicht diese staatsrechtliche Funktion der Kammern in den deutschen
konstitutionellen Staaten weiter als bis zur Feststellung eines Gesetzentwurfs,
d. h. der Formulierung eines Komplexes von Sätzen rechtlichen Inhalts,
welche — so lange sie nicht die Sanktion des Monarchen erhalten haben —
ohne verbindliche Kraft sind und den Charakter von Rechtsvorschriften
nicht haben. Darin aber besteht gerade der Gegensatz zwischen dem
Gesetzesinhalt und dem Gesetzesbefehl, welcher den blossen Rechtssatz zur
verbindlichen Rechtsvorschrift erhebt. Dass die Beratung und Feststellung
des Gesetzentwurfs seitens der Kammer keine „akademische Diskussion von
Rechtsgedanken“ ist, sondern eine staatsrechtliche Bedeutung und Tendenz
hat, habe ich selbst schon in der II. Aufl. des Staatsrechts 8. 516 Anm. 2
ausgeführt. Der Verf., der jedes Wort meiner Darstellung kennt, hat es
aber für gut befunden, dies zu verschweigen.
Der Verf. wendet sich nun der Sanktion zu und erkennt an, dass die-
selbe in den Einzelstaaten vom Monarchen, im Reich durch Beschluss des
Bundesrats erfolgt. Das Wesen der Sanktion erblickt der Verf. aber nicht
in dem Gesetzesbefehl, sondern in der „Zustimmung und Entschluss zum
Erlass des Gesetzesbefehls“. In der Monarchie sei die Sanktion „zunächst
ein innerer Vorgang im Willen des Monarchen“; sie bedürfe keiner be-
sonderen Erklärung, eine mündliche Erklärung des Monarchen, z. B. im
versammelten Ministerrate (warum nicht auch bei einem Diner oder Hof-
ball?) würde genügen (S. 21f.). Nun wird man wohl nicht bezweifeln
können, dass die Sanktion eines Gesetzes eine Regierungshandlung ist;
Regierungshandlungen bedürfen aber der Gegenzeichnung eines verantwort-