Full text: Archiv für öffentliches Recht.Siebzehnter Band. (17)

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essen der Gesellschaft, welche nach den verschiedenen Gruppen, Kultur- 
bedürfnissen und Anschauungen verschieden und einem fortwährenden Wechsel 
unterworfen sind, erfüllen den staatlichen Willen mit einem Inhalt; die 
Staatsgewalt bringt diese wechselnden Zwecke zur Anerkennung und Ver- 
wirklichung. Als Träger der Herrschaft sei der Staat eine Person; neben 
diesem Subjekt der Staatsgewalt gebe es aber eine objektive Staatsordnung; 
sie sei der Komplex aller von der Herrschermacht des Staates anerkannten 
Interessen. Staat und Gesellschaft beeinflussen und widerstreben einander 
und schaffen durch dieses Widerspiel der Kräfte ein Gleichgewicht, welches 
durch die Staatsordnung (regime d’ötat) dargestellt werde. Diese Staats- 
ordnung sei in ewigem Fluss; die Initiative zu ihrer fortwährenden Verände- 
rung gehe von den einzelnen, oder Gruppen oder Klassen von einzelnen, also 
von der Gesellschaft aus, nicht vom Staat. Diese Reformarbeit könne sich 
entweder langsam und unbewusst vollziehen; dadurch entstehe das Gewohn- 
heitsrecht; oder systematisch und bewusst, bisweilen mit intensiver Heftig- 
keit durch das Gesetz. Gegenwärtig komme in den modernen Staaten nur 
die letztere Art in Betracht, und die Verf. verlieren auch alsbald das Ge- 
wohnheitsrecht ganz aus den Augen. Die Staatsgewalt, die Herrschaft des 
Staates komme in der Sanktion des Gesetzes, die in der Gesellschaft vor- 
handene, treibende Kraft in dem Inhalt des Gesetzes zur Erscheinung. Das 
Gesetz sei die Aussöhnung des Gegensatzes zwischen Staat und Gesellschaft, 
ihre höhere Vereinigung. 
Die Verf. verstehen hiernach unter dem Gesetz die Rechtsordnung, also 
das Gesetz im materiellen Sinne, was schon durch die Zusammenstellung mit 
dem Gewohnheitsrecht bestätigt wird. Auch ihre weiteren Ausführungen 
laufen darauf hinaus, dass der Staat durch Aufstellung, Fortbildung und 
Schutz der Rechtsordnung die gesellschaftlichen Gegensätze ausgleicht und 
beherrscht. Aber sie verwenden diesen materiellen (desetzesbegriff unbewusst ; 
sie ersetzen ihn alsbald durch den der französischen Rechtswissenschaft bis- 
her allein geläufigen Begriff des formellen Gesetzes, d. h. eines von verfas- 
sungsmässig berufenen Vertretern des Volkes oder der gesellschaftlichen 
Klassen und Gruppen beschlossenen und genehmigten Willensaktes des 
Staates. Das Endresultat ihrer Erörterungen besteht daher darin, dass ein 
Staatswesen überall da anzunehmen ist, wo ein Gesetzgebungsorgan der be- 
schriebenen Art vorhanden ist, und überall da nicht besteht, wo es an dieser 
Einrichtung fehlt!. Nun entgeht es den Verf. nicht, dass auch Kommunen 
und Verwaltungsbehörden Anordnungen treffen können, durch welche gesell- 
schaftliche Interessen Befriedigung und Schutz finden: aber dies seien nur 
Statuten oder Reglements, keine Gesetze, und deshalb zur Anerkennung eines 
Staats ungenügend. Hierdurch sehen sie sich genötigt, den sachlichen Unter- 
ı 8.386: „L’Etat est une collectivit& qui exerce comme un pouvoir 
propre le droit de deliberer ses lois,“
	        
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