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aus, und die Stellung des Berliner Geldmarktes ist immer machtvoller und
tonangebend geworden. Ein’ Unterschied deutscher und britischer Verhält-
nisse besteht freilich, ist aber nur ein scheinbarer. Die Zahl der Provinzial-
banken hat bei uns nicht ab-, sondern zugenommen, und in den letzten
Jahren ist ihr Aktienkapital noch stärker gewachsen, als das der Berliner
Institute ersten Ranges. Es liegt dies in der eigentümlichen Fusionspolitik,
nach der man vielfach dem fusionierten Geschäft eine gewisse, aber mehr
oder minder nur formelle, Selbständigkeit belässt. Dazu kommt, dass, wäh-
rend die Provinzialinstitute sich in Berlin domiziliert haben und damit mehr
und mehr das Hauptgeschäft dorthin verlegen, die führenden Berliner
Institute auch das Provinzialgeschäft in Bearbeitung genommen und durch
Filialen, bezw. Koalitionen ihre Verbindung mit den Provinzen fester ge-
knüpft haben. Immerhin ist die eigentliche Filialengründung in Deutsch-
land viel weniger üblich, als jenseits des Kanals. Man arbeitet bei uns in
Deutschland mehr mit äusserlich kaum wahrzunehmenden Interessengemein-
schaften und Kommanditierungen. Eine Ausnahme macht die deutsche
Reichsbank. Im Gegensatz zu den Depositen- und Spekulationsbanken war
sie von jeher bemüht, ihr Fialialennetz weiter auszudehnen. Während die
Bank von England nur 11 Zweigniederlassungen besitzt, hatte die deutsche
Reichsbank Ende 1900 382 Zweiganstalten. Auch die Bank von Frankreich
ähnelt den deutschen, nicht den englischen Verhältnissen mit ihren zahl-
reichen Filialen und Agenturen. Es ist bekannt, dass ein grosses Filialen-
netz Licht- und Schattenseiten hat. WEBER stellt sie ausführlich dar. Die
Vorteile sind nach ihm: 1. Die grössere Widerstandskraft der Filialen einer
Grossbank gegenüber den selbständigen Kleinbanken, 2, die erleichterte
Heranziehung und Verwertung von Depositen, 3. ein erleichterter Giro-
verkehr, und 4. endlich ein besseres Auskunftswesen. Als Schattenseiten
führt er folgende an: 1. Gefahren für das Hauptinstitut infolge Zusammen-
bruchs der Filisle, 2. die Erschwerung ihrer Beaufsichtigung, und 3. die
Notwendigkeit grösserer Kassenvorräte mit Rücksicht auf die Zweignieder-
lassungen.
In sehr eingehender Weise behandelt WEBER in seiner Parallele
deutscher und englischer Bankverhältnisse die Bankgeschäfte, und zwar
sowohl diejenigen des regulären Bankgeschäfts in seinen normalen und
anormalen Funktionen (Depositen- und Kontokorrentverkehr, Diskont- und
Lombardgeschäfte, das Kommissionsgeschäft und die Ausartung dieser Formen
der Kreditgewährung), als auch die des irregulären Bankgeschäfts, worunter
er die Emissions- und Gründerthätigkeit, sowie das Effektenhandelsgeschäft
und die Börsenspekulationen der Banken versteht. In ersterer Richtung hin,
also was das Depositen- und Kontokorrentwesen anbetrifft, ist das Fazit,
das WEBER zieht, folgendes: Diese Bankgeschäfte sind für die britischen
Banken bei weitem vorteilhafter als für die deutschen, weil 1. die Summe
der Gelder, welche den Banken als „Depositen oder Kontokorrent“ zinsfrei
Archiv für öffentliches Recht. XVII. 4. 40