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Gesetzgebung, insoweit nicht eine Mitwirkung des Parlaments ausdrücklich
erfordert werde. Der Verf. fällt nach meiner Ansicht hier etwas aus der
Rolle, denn er schreibt hier der gesetzgebenden Gewalt eine ganz andere
Bedeutung zu als einer blossen Formulierung des in der sozialen Solidarität
bereits vorhandenen droit objectif. Eine gesetzgebende Gewalt giebt es nach
seiner Ansicht gar nicht; das positive Gesetz deklariert bloss das — wenig-
stens latent — schon vorhandene Recht, und ein davon abweichendes, auf einem
freien Willensakt beruhendes Gesetz ist ein actus inanis. Dennoch soll ein
Willensakt des Herrschers die Kraft haben, nicht nur die Organisation des
Staats und die Thätigkeit der Behörden, sondern auch Freiheit und Ver-
mögen der Individuen zu regeln. Das Parlament ist, obgleich es aus Herrschern
besteht, verantwortlich (!), denn seine Mitglieder seien Herrscher in Stell-
vertretung; der Monarch sei ein Herrscher an sich nnd deshalb unverant-
wortlich. Wie verträgt sich dies mit seiner Theorie, dass es im Gebiet des
öffentlichen Rechts überhaupt keine Stellvertretung giebt und dass die
Funktionen sowohl des Monarchen als des Parlaments im droit objectif be-
stimmt und begrenzt sind? Der Minister sei in der parlamentarischen
Monarchie der Agent des Königs vor dem Parlament und der Agent des
Parlaments vor dem König und deshalb beiden verantwortlich (S. 316).
Es würde zu weit führen, hier die ausführlichen Erörterungen des Verf. über
die Stellung des Präsidenten in den republikanischen Staaten, insbesondere
in Frankreich, zu referieren; auch sie fordern in zahlreichen Punkten den
Widerspruch heraus.
Mit dem vierten Kapitel (S. 361) beginnt der Hauptteil des Werkes,
das Beamtenrecht. Die Herrschenden haben zwar nur un devoir et pouvoir
objectif, allein ihre thatsächliche Macht sei so gross, dass sie für die Freiheit
und Sicherheit der Individuen gefährlich sei und die Beobachtung der
Rechtsregeln problematisch werde; aus diesem Grunde habe man die Herr-
schenden auf die Aufstellung von Rechtsregeln beschränkt; dagegen die
Handhabung dieser Regeln Personen übertragen, welche unbedingt an die
Beobachtung der Gesetze gebunden sind, einer Leitung und Kontrolle unter-
liegen und verantwortlich sind. Die Beamten seien dazu da, um die Unter-
thanen vor der Willkür der Herrschenden zu schützen; soweit es sich um
subjektive Rechte der Individuen handelt, treten nicht die Herrscher, sondern
die Beamten in Thätigkeit. Dass dies alles mit dem positiven Recht
Frankreichs nicht im Einklang steht, legt der Verf. selbst. dar; es ist aber
wohl überhaupt und für alle Staaten unzutreffend, die Existenz des Beamten-
tums mit der Furcht vor den Herrschenden zu begründen. Diese Deduktion
ist um so sonderbarer, als die Beamten, was ja der Verf. selbst ausrührt, von
den Herrschenden selbst eingesetzt werden pour intervenir dans le
domaine du droit subjectif. Aber doch wohl nicht aus Angst vor ihrer eigenen
Macht? Die Ernennung eines Beamten enthalte weder ein Mandat noch
eine Uebertragung (concession) eines Teils der Staatsgewalt. Ausführlich