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oder nicht, wird dadurch in den Hintergrund geschoben: „die ganze Theorie
vom Unterschiede zwischen Rechts- und Verwaltungsnormen ist thatsächlich
belanglos“ (S. 15).
Der Verf. findet seine Auffassung glänzend bestätigt in dem Urteil des
Reichsgerichts vom 26. März 1901 (Samml. Bd. 48 S. 84), das er nicht müde
wird zu citieren. Mir scheint, das Reichsgericht spricht keineswegs von
Verwaltungsvorschriften in dem Sinne, welchen der Verf. dem Worte geben
will, vielmehr ausdrücklich von Anweisungen, von Vorschriften für die Ver-
waltung, und dazu bemerkt es, dass diese Verwaltungsvorschriften auch vom
Gesetz ausgehen können. Was es dabei bestätigt, das ist die alte Wahr-
heit, dass ein Rechtssatz sehr wohl auch so formuliert werden kann, dass er
sich unmittelbar mit einer Anweisung an die Behörde wendet. Das ganze
Strafgesetzbuch ist des Zeuge. Das Reichsgericht stellt aber auch fest, dass
im gegebenen Fall eine gesetzliche Ermächtigung zur Schaffung von Rechts-
sätzen vorlag und die darauf hin ergangene Anordnung willens und fähig
war, nicht „lediglich Anweisungen“, also Verwaltungsvorschriften, zu geben,
sondern nach aussen zu wirken, Rechte und Pflichten der Einzelnen be-
gründend. Hier handelt es sich also doch um eine recht bedeutsame Wir-
kung, die der Rechtssatz hat und die einfache Verwaltungsvorschrift nicht.
Wer viel gearbeitet hat mit dem so überaus wertvollen Material, das
die Entscheidungen unserer hohen Gerichtshöfe liefern, der weiss, dass die
Entscheidungsgründe die Rechtslehren zuzuspitzen geneigt sind auf das Be-
dürfnis der zu begründenden Entscheidung. Es kommt nur darauf an, dass
sie für diesen Einzelfall richtig erfasst sind und dafür erhalten sie einen
prägnanten Ausdruck, der vielleicht für einen anderen Fall, für die Theorie
im allgemeinen nicht gültig wäre. Urteile sind keine Kathedervorträge. So
scheint mir auch an diesem Urteil des Reichsgerichts die Lehre vom Rechts-
satz in einigen Stücken zu scharf pointiert zu sein. „Anweisungen für Be-
hörden* würden wir zunächst im Sinne von Dienstanweisungen, Dienst-
befehlen verstehen. Es ist richtig, dass das Gesetz — es kann ja alles —
sich darauf beschränken kann, einen solchen Dienstbefehl zu geben, dass also,
wie das Reichsgericht sagt, „der Gesetzesinhalt sich in Anweisungen an die
Behörden erschöpft“. Wenn das aber einmal der Fall sein sollte, so würden
wir das nicht mehr Rechtsnorm nennen können. Der Rechtssatz wirkt seiner
Natur nach zweiseitig: er bindet die Behörde für das, was sie thun soll, und
bestimmt zugleich ein entsprechendes Sollen und Dürfen des Unterthanen,
den es trifft; es ist Unrecht diesem gegenüber, wenn zu seinem Nachteil anders
verfahren wird, und der Akt ist rechtsungültig. Man kann nun auch diese
rechtssatzmässige Bindung der Behörden im Sinne des Reichsgerichts eine
„Anweisung der Behörde“ nennen. Das ist natürlich etwas anderes wie eine
Dienstanweisung; es ist die eine Seite der Rechtssatzwirkung, zu der die andere
Wirkung, die Wirkung nach aussen gehört. Das Gesetz kann alles: es kann
auch die äussere Wirkung in der einen oder anderen Beziehung ausschliessen.
Archiv für öffentliches Recht. XVII. 1. 7